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Interview: Prof. Claus Eurich über das Scheitern als Chance Krisen bewusst zu durchleben

Jeder hat schon einmal die Erfahrung gemacht, an etwas gescheitert zu sein. Ob uns das völlig aus der Bahn wirft oder ob wir etwas daraus lernen, hängt davon ab, wie man damit umgeht. Denn man kann eine Krise durchaus als Chance begreifen, wenn man sich ihr stellt und sie bewusst durchlebt. Davon ist Professor Claus Eurich zutiefst überzeugt. In Seminaren und in seinem Buch Die heilende Kraft des Scheiterns zeigt er eine neue Sichtwiese auf den Umgang mit Krisen.

Die Regale der Buchhandlungen biegen sich mit Ratgebern, wie man glücklich wird, sein Leben optimiert und seine Ziele erreicht. Sie widmen sich hingegen dem Scheitern. Was hat Sie bewogen, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen?

„Ich glaube, dass es ein zeitloses Thema ist und wir es in unserer wettbewerbsbezogenen und erfolgsgewohnten Kultur völlig verlernt haben, den Blick auch darauf zu richten, dass menschliches Handeln immer gebrochen ist. Vor allem, dass wir uns im positiven Sinne in keinerlei Fortschritt hineinbewegen können, ohne das unsere Erwartungen enttäuscht und sogar ganze Strategien zerbrochen werden.

Es ist diese uralte Grundansicht: es kann nichts Neues entstehen, wenn Altes nicht vergangen ist. Wenn aus dem Alten heraus keine Perspektiven für das Neue entstehen. Das geht jedoch nur, wenn man aus bestimmten Routinen und Gewohnheiten, aus festgeschriebenen Orientierungen im Leben heraus geworfen wird, wenn man es nicht freiwillig sieht. Das ist Scheitern.“

 

Obwohl es zahlreiche prominente Beispiele des Scheiterns gibt, wie Margot Kaesmann und Christian Wulff oder der Torwart Robert Enke, der seinen Ausweg nur im Suizid sah; und sicher auch jeder im Privaten Erfahrungen damit gemacht hat. Wie kann es sein, dass Scheitern in unserer doch vermeintlich aufgeklärten Gesellschaft trotzdem so tabuisiert wird?

„Ich glaube es ist schlicht und einfach nach wie vor ein Tabu, weil unsere Gesellschaft auf ganz anderen Basisfaktoren beruht. Es ist eben diese Wettbewerbs- und Konkurrenzmentalität, diese Durchsetzungsmentalität und dieses sich ausschließlich am Erfolg als etwas Positivem orientieren. Wenn man solch eine Basis hat, ist Scheitern eine Bedrohung. Wird auch kulturell als eine Bedrohung wahrgenommen.

Deswegen wird Scheitern auch individualisiert. Deshalb sind wir bis heute, um das Beispiel von Robert Enke aufzugreifen, noch nicht an den Punkt herangekommen, dass die Bedingungen im Profisport und der Umgang mit Menschen reflektiert werden, um diese wirklich häufig vorkommenden Formen von Depression auch angemessen zu verstehen.

Die systemische Aufarbeitung findet nicht statt. In dem Moment, in dem es sich personalisiert, heißt es, da ist eine Persönlichkeit eben schwach oder sie ist aus irgendwelchen Gründen, die eine Öffentlichkeit eigentlich nichts angehen, aus ihrem Prozess heraus geworfen worden. In dem Moment nimmt man das System allerdings aus der Verantwortung. Nach meiner Auffassung ist das ein Ausweichen, das im Letzten auf einer ganz tief sitzenden kulturellen Angst basiert.

In dem Moment, da man Dinge ins Private abschiebt, muss man sich ihnen auf der organisationsbezogenen Ebene – wie etwa in Betrieben – oder auf der Ebene, wie unser Wirtschaftssystem funktioniert, oder auf der Ebene der Regeln herrschender Politik – nicht stellen.“

 

Könnten Sie unseren Lesern dazu ein Beispiel geben?

„Ich baue das Thema Scheitern in all meinen Seminaren, die ich für Führungskräfte gebe, mit ein. Es hat dort immer eine starke Resonanz. Weil die Menschen merken, im Prinzip lebt die Angst in jedem. Aber man spricht es nicht offen aus. Dann gebe ich dem Raum und die Teilnehmer sind dankbar dafür. Aber wenn ich einen Kurs anbiete, zum Thema Scheitern in der Führung, meldet sich niemand an.

Scheitern ist für mich etwas zutiefst existentielles und nur wer die Prozesse des Scheiterns annimmt und sie in aller Tiefe durchlebt, sie dann auch in sein Leben integriert, kann nach meiner Auffassung als Persönlichkeit reifen und zu einem integralen Menschen im positiven Sinne werden.“

 

Lässt sich ein Scheitern nicht eigentlich erst im Rückblick wirklich als Chance oder Wendepunkt erkennen und annehmen? Man steht doch in der Regel nicht in der Situation X und sagt sich, jetzt bin ich gescheitert, also lerne ich was draus.

„Doch! Es ist eine Sache, wie Sie in der Vergangenheit damit umgegangen sind. Meine Intention ist eigentlich, dass wir bezogen auf Prozesse wie der Ohnmacht und des Scheiterns im Hinblick auf unser Leben und die Systeme in denen wir stehen, immer in so eine Haltung der Zeugenschaft kommen, eine Art Meta-Perspektive. Das wir auch reflektieren, was passiert, wenn es passiert. Dass es uns zwar aus der Bahn wirft, aber wir wissen auch, was uns aus der Bahn wirft und wir erkennen zugleich in dem was hier passiert, noch bisher ungesehene Möglichkeiten.

Das allerdings kann nur passieren, wenn ich lerne auch in den ganz kleinen Schritten des Scheiterns und den ganz kleinen Ohnmachtsgefühlen genau diese Perspektive aufzubauen und genau diese Perspektive zu haben. Das setzt voraus, dass ich es wirklich an mich heranlasse. Dass ich nicht nach äußeren Begründungen suche, Dass ich nicht sage, ich hatte einen schlechten Start ins Leben gehabt, oder der Tag hat eh schon nicht gut begonnen, sondern wirklich präzise hinschaue. Es als einen Teil von mir sehe und in dem Moment, wo ich beginne, es als einen Teil von mir zu sehen, sehe ich auch die Anteile des Außen.

Aber ich bin nicht mehr in der Gefahr alle Anteile auf das Außen zu projizieren und damit Sündenböcke zu suchen, nur um damit den Prozess der Selbsterkenntnis in mir weiterhin zu blockieren. Wenn dieser gordische Knoten einmal durchschlagen ist, dann glaube ich, entsteht wirklich eine Sensibilität, die nicht verhindert, dass mich trotzdem etwas niederschmettert, aber es hat nicht dieses Finale. Sondern immer auch diesen Impuls, dass ich weiß, ich kann mich aufrichten und gestärkt aus dieser Situation hervorgehen.“

 

Sie sprachen gerade auch das Gefühl der Ohnmacht an …

„Es ist mir ganz wichtig an der Stelle zu unterscheiden, es gibt das Scheitern und es gibt die Ohnmacht. Beide sehe ich auf einer ähnlichen Linie. Ohnmacht ist an sich in einer so machtbesessenen Kultur wie der unseren, auch etwas positives, für mich etwas zutiefst Jesuanisches. Dieses ohne Macht sein. Du siehst, die Situation kannst du nicht verändern. Du bist nicht der Herr des Verfahrens. Sondern du musst dich dem auch lernen hinzugeben. Du musst erkennen, du bist an einem Punkt angelangt, wo es mit deinen vertrauten Wegen und vertrauten Problemlösungsmustern nicht weitergeht. Dir ist die Kraft dazu genommen. Das ist wie bei einer Krankheit, die dich zunächst einmal einfach ans Bett bindet, dass du den Blick für dich öffnest und dass du die Kräfte sammeln kannst. Nach meiner Auffassung ist das etwas völlig unverzichtbares und an sich positives.

Trennen davon möchte ich allerdings ganz existentielle Einschnitte wie beispielsweise Partnerverlust oder den Verlust eines Kindes oder nahe stehenden Menschen, eines Unfalles oder andere Verhängnisse im Leben, auf die wir keinerlei Einflüsse haben und die uns in einer Weise treffen und berühren, dass es oft auch nicht zu verarbeiten ist. Das aber ist kein Scheitern. Das müssen wir ganz klar voneinander trennen. Das diese Ebenen sich nicht überlagern.“

 

Sie schreiben in Ihrem Buch das Leiden sei die vorwegnehmende Erlösung potentiellen Scheiterns. Um über mein Leiden kommunizieren zu können, muss ich doch zuerst einmal in der Lage sein, mich selbst zu reflektieren, um es auch benennen zu können und ich muss ein Umfeld haben, das mit mir überhaupt kommunizieren will. Nehmen wir an, ich bin in einer Partnerschaft und möchte mit meinem Gegenüber über etwas, das mir Probleme bereitet sprechen und der entzieht sich jedem Gespräch. Was mache ich denn in so einer Situation?

„Eine Partnerschaft, die diesen Namen verdient, sollte auf gegenseitiger Annahme begründet sein, auf dem Grundimpetus, dass es auch meine Aufgabe ist, dem anderen, das Du zu ermöglichen. Gerade auch in Situationen der Krise, den anderen wirklich in all seinen Facetten anzunehmen. Das ist eine Basis. Wenn ich nun selber gleichsam in einer solch existentiellen Krise stecke oder mir etwas begegnet ist, das mich auf irgendeiner Ebene zutiefst erschüttert, oder ich mit etwas nicht klar komme und ich erhalte das Feedback, darüber möchte ich mit dir nicht reden, existiert für mich bereits die Partnerschaft nicht mehr. Sie ist dann lediglich noch eine Hülle, eine Form, eine Fassade, die aus irgendwelchen Gründen aufrechterhalten wird. Dann sollte man die entsprechenden Konsequenzen ziehen.

Bevor man diesen finalen Schritt tut, ist sicherlich das Einholen eines Blicks von außen auch nicht völlig unverzichtbar.

Weil manchmal ist dieses Ausweichen des Partners, der sagt, ich will darüber nicht reden, auch der Angst geschuldet vor dem, was auf einen zukommen kann und der Qualität der Auseinandersetzung, die man erwartet und die vielleicht sehr verletzend ist. Oder es ist die Angst, dass in mir selber eine Einsicht aufbrechen kann, die mich im Moment überfordert. Dem sollte man auch nachgehen. Doch obwohl man dem allein oder gemeinsam nachgeht, etwa mit Hilfe eines Paartherapeuten, wenn diese Haltung – darüber will ich mit dir nicht reden – nicht zu verändern ist, wäre für mich der Punkt erreicht, wo ich sagen würde, da ist eigentlich schon die Grenze zur Nichtexistenz des gemeinsamen Lebens überschritten und die Beziehung ist gescheitert.“

Das Interview führte Claudia Hötzendorfer

 

 

Prof. Dr. phil. Claus Eurich: Hochschullehrer am Institut für Journalistik der TU Dortmund mit Schwerpunkt Kommunikationswissenschaft und Ethik; Kontemplationslehrer und Kurator der Stiftung Bewusstseinswissenschaften

 

 

Buchtipp:

 

Claus Eurich

Die heilende Kraft des Scheiterns

(Via Nova 2014)

 

 

 

© 2015 Claudia Hötzendorfer – Silent Tongue Productions