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Interview: Benjamin Lebert – Schreiben ist Selbstreflexion

Die Medien haben ihn als Jungliterat gefeiert und in der Schublade vorübergehendes Pop-Phänomen verortet. Inzwischen ist aus ihm ein erstzunehmender Schriftsteller geworden. Dabei hatte Benjamin Lebert mal vor Batman zu werden, wie er schmunzelnd verrät. Da die Stelle schon mit einem Kerl im Fledermauskostüm besetzt war, entschied sich der damals 14-jährige für Plan B. Er brachte seine Teenager-Erlebnisse zu Papier und zwischen zwei Buchdeckel. Ein Jahr später stürmte das autobiografisch gefärbte Erstlingswerk mit dem griffigen Titel Crazy die internationalen Bestsellerlisten. Das war 1999. Mit seinen inzwischen vier Folgeromanen hat Lebert längst bewiesen, dass er keine literarische Eintagsfliege war. Kürzlich ist sein neustes Werk Im Winter dein Herz erschienen, in dem er eigene Erfahrungen mit Essstörungen und einer seelischen Erkrankung verarbeitet.

„Da hat sich schon ein enormer Druck aufgebaut“, erinnert sich Benjamin Lebert an die Zeit nach Veröffentlichung von Crazy. Das Buch wurde in 33 Sprachen übersetzt, ging 1 Million Mal über die Ladentische und wurde mit Robert Stadlober auch noch verfilmt. Ein Erfolg, von dem Autoren, die viel länger im Geschäft sind nur träumen können.

#Der Rummel um seine Person ging jedoch nicht spurlos an dem Teenager vorbei. Der Sohn eines bekannten Journalisten, dessen Großeltern ebenfalls Schriftsteller sind, konnte plötzlich nichts mehr essen und ließ sich in einer psychiatrischen Klinik behandeln. Beides wob der inzwischen 30-jährige in seinen aktuellen Roman Im Winter dein Herz mit ein.

Sein Protagonist Robert büxt aus einer Klinik aus, um mit zwei Bekannten durch ein sich im Winterschlaf befindliches Land zu seinem kranken Vater zu reisen. Wir sprachen mit Benjamin Lebert über psychische Erkrankungen und das Schreiben als Selbstreflexion.

Kann es sein, dass der Roadtrip von Robert und seinen beiden Mitfahrern eine Metapher für die Therapie ist und der Winterschlaf für eine Depression steht?

„Erst einmal vielen Dank, dass Sie sich so viele Gedanken gemacht haben. Es ist schön, wenn der Roman auslöst, dass die Leser darüber nachdenken. Es ist so, dass ich die Dinge nie so deutlich zeichnen möchte, dass es nur eine Gültigkeit gibt. Der Winterschlaf steht nicht explizit für eine seelische Erkrankung. Ich wollte einfach Bilder finden. Bilder für die Unzugänglichkeit, die ich erfahre und die in dieser Zeit einfach sehr nahe zu sein scheint, aber letztendlich unerreichbar ist. Und dass auch die Herzen wenn man so will unzugänglich sind. Wahrscheinlich müssen sie es sogar, gewissermaßen als Schutzmechanismus. Das war ein Gedanke, der mich in diesen Winterschlaf hinein geführt hat.

Der andere ist, dass ich das Gefühl habe, wir leben in einer Zeit, in der die Menschen umherlaufen, als wären sie Schafwandler. Da ist etwas Nichtwaches an ihnen, was vielleicht daher rührt, dass sie überbelastet sind durch Eindrücke, durch Geschehnisse, durch die Aufgaben, die sie haben. Aber dass sie sich letztlich auch ein Stück weit aufgegeben haben. Es ist eine enorme Anstrengung zu spüren, aber gleichzeitig ein sich in das Schicksal ergeben und eigentlich so vor sich hin leben. Aber das eher als Traurigkeit wahrnehmen. Ich habe das Gefühl, dass da ein akutes Schlafbedürfnis vorhanden ist. Das waren die beiden Wege, die mich in die Geschichte geführt haben.

Sie haben eigene Erfahrungen mit einem Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik und Essstörungen mit einfließen lassen. Auch in vorherigen Büchern haben Sie Selbsterlebtes eingearbeitet. Ist Schreiben für Sie eine Art Selbstreflexion?

„Bei mir war es so, dass die seelische Erkrankung dazu geführt hat, dass ich in der Klinik in Tiefenbrunn bei Göttingen war. Ich glaube es ist dort wie in diesen Kliniken allgemein so, dass vieles schreiberisch abgehandelt wird. Dass heißt, dass man sich immer Notizen machen soll über seine Empfindungen, Träume und den Werdegang in der Klinik. Wenn man so will, kann es schon so sein, dass der Robert in der Klinik sich Notizen macht und diese Notizen sind letztendlich das, was der Roman ist.

Wenn Sie nach der Selbstreflexion fragen, würde ich antworten, ja in gewisser Weise schon. Es hilft mir immer, mich schreiberisch mit der Welt auseinander zu setzen. Ich glaube auch, dass es für viele Menschen notwendig ist, sich an der Welt zu reiben auf irgendeine Weise. Für mich ist dieses Reiben an der Welt eben das Schreiben.

Es gibt im Roman eine Beschreibung für den Winterschlaf und eine Begründung, warum man ihn machen sollte. Weil er gut für die Gesundheit und die Ökologie ist, weil Energie gespart werden kann. Würde Ihnen die Idee gefallen, wenn es die Möglichkeit eines Winterschlafs tatsächlich gäbe?

„Nein. Ich tendiere aber dazu, weil die Welt sehr an meinem Gebäude rüttelt und weil ich mich oft sehr in Mitleidenschaft gezogen fühle von der Welt. Ich tendiere dazu mich zurückzuziehen und im Verborgenen zu halten. Da wäre so ein Winterschlaf ein Sehnen und ein Vorgang, der einem durchaus liegen würde. Ich glaube aber, dass es trotzdem richtig ist, das Leben so zu erleben wie es ist und auch wach zu erleben und sich in das Leben hinein zu begeben mit allen Schwierigkeiten die damit einhergehen. Dementsprechend wäre der Winterschlaf keine Lösung. Es gibt viel zu viele Dinge zu erleben.

Robert scheint sich dafür zu schämen, dass es ihm nicht so gut geht. Da es anderen – zum Beispiel seinem Vater – doch so viel schlechter geht.

„Ja, das ist schon ein wenig so und es ist auch etwas, das ich in meinem Bekanntenkreis wahr nehme oder bei Menschen, die ich kenne. Dass es sich gerade bei psychischen Erkrankungen häufig so ausnimmt, dass man sich dafür schämen muss. Zwar ist der Umgang damit ein viel besserer geworden und es gibt auch viel mehr Möglichkeiten sich in eine Heilung hinein zu begeben. Gleichzeitig ist es aber immer noch so, dass es ein bisschen verpönt und schwierig ist, es zu kommunizieren. Da klafft eine große Lücke zu dem, wie gut wir erscheinen wollen und müssen. Wie viele Fähigkeiten wir haben müssen, um dem Alltag überhaupt Herr zu werden. Auf der anderen Seite ist die Erkrankung und der Umgang damit noch nicht im Reinen.

Robert denkt viel über Glück und Stille nach. Sind das Themen, die Sie auch selbst beschäftigen?

„Ja natürlich. Ich glaube Glück ist etwas, womit sich jeder befasst. Wir sind doch alle irgendwie Glücksuchende. Die Stille ist für mich sehr bered. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der vieles thematisiert wurde. Wo in Gesprächen für alles Worte gefunden wurden. Was sehr schön war und auch sehr bereichernd. Gleichzeitig glaube ich aber, dass ich genau dadurch eine Affinität zur Stille hin habe. Stille ist deshalb sehr wichtig für mich.

Streckenweise wirkt Ihr Buch fast wie eine Meditation und am Ende finden Ihre Protagonisten Kraft im Glauben, durch das Zusammensein in einer Kirche. Welche Rolle spielt der Glaube in Ihrem Leben, sind Sie ein spiritueller Mensch?

„Ob wir von Glauben oder Spiritualität sprechen, ist mir gleich. Weil die Worte ja immer nur Wegweiser sein können. Aber sie können das Tatsächliche niemals berühren, sie können nur in eine Richtung verweisen. Mit dem Inhalt des Begriffs Glauben verhält es sich ähnlich. Es ist nur ein die Finger ausstrecken nach den Himmeln hin, die möglicherweise über uns leuchten. Das ist auch mein Bestreben.

Die Protagonisten in Ihren Büchern befinden sich immer irgendwie auf einer Reise. Ist für Sie der Weg das Ziel?

(lacht) „Ja, das ist auf jeden Fall so. Das sie sich immer von einem Ort zum anderen begeben ist für mich auch ein Ausdruck von Rastlosigkeit. Auch der Rastlosigkeit in unserer Gesellschaft. Ich glaube, dass man dem Leben am ehesten begegnen kann, indem man sich auf eine Reise begibt. Weil wir ja doch nur immer unterwegs zu etwas sind. Es gibt kaum ein Ankommen. Dementsprechend ist es manchmal auch die tatsächliche Umsetzung davon, dass man sich auf den Weg macht. Denn so kann diese übergeordnete Suche auf eine angenehme Art und Weise angenommen werden.

Sie geben in Ihren Geschichten, aber auch in Interviews viel von sich preis. Warum gehen Sie so offen mit Themen wie Essstörungen und dem Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik um? Die meisten würden das doch lieber für sich behalten, vor allem, wenn sie eine bekannte Person sind. Ist es Ihnen wichtig, dass die Leute Sie so akzeptieren, wie Sie sind?

„Ja. Einerseits ist das sicher der Fall. Man darf sich aber nicht zu sehr für wahrhaftig halten oder es sich wünschen, dass erkannt wird, wie aufrichtig man ist. Darum geht es mir nicht. Ich kann nicht über ein Buch sprechen, das aus diesen Gefilden heraus entstanden ist, ohne das zu thematisieren, was passiert ist. Ich kann nicht darüber reden und mir eine Geschichte ausdenken, wie ich dieses Buch geschrieben habe. Das ist nicht aufrichtiger, als etwas zu verheimlichen. Ich glaube, dass es letzten Endes auch damit zu tun hat, dass es mir leichter fällt, die Dinge zu benennen, als es nicht zu tun.

Sie haben vorhin erwähnt, dass Sie aus einer schreibenden Familie kommen. War der Weg für Ihre Berufswahl damit schon vorprogrammiert oder gab es doch irgendwann mal andere Pläne?

„Ich hatte mal vor Batman zu sein. (lacht)“

Die Stelle war schon besetzt?

„Genau, die Stelle war schon besetzt und mit meiner Körperlichkeit war es auch nicht so weit her. Als mir bewusst wurde, dass Batman nicht mein Beruf sein kann, war eigentlich relativ schnell klar, dass ich ein Schriftsteller werde.“

Nach der Veröffentlichung und später auch der Verfilmung Ihres autobiografischen Debütromans Crazy wurde ein enormer Hype um Sie gemacht. War das eher Druck oder Ansporn für Sie?

„Da hatte sich schon ein enormer Druck aufgebaut. Es wurden so unglaublich viele Stimmen laut, die gesagt haben, wie ich zu sein habe oder was sie sich unter mir vorstellen. Als 15-jähriger ist es ohnedies sehr schwierig, überhaupt herauszubekommen, wer diese Person ist, die man als Benjamin bezeichnet. In diese Phase hinein, diese Stimmen zu hören, das war sehr schwierig für mich. Dementsprechend ist mir mein zweites Buch Der Vogel ist ein Rabe auch ein sehr liebes Buch. Weniger was die Qualität anbelangt. Das sollen andere entscheiden, sondern einfach weil es mich ein wenig gelöst hat aus diesem Crazy-Druck und es ist ein ganz anderes Buch. Und es hat mir andere Wege aufgezeigt. Das war wichtig für mich.

Man hat Sie als mit Abstand Jüngsten auf die Cicero-Liste der wichtigsten Intellektuellen Deutschlands gesetzt. Können Sie mit solchen Kategorisierungen etwas anfangen?

„Nein, überhaupt nicht. Das ist für mich sogar lächerlich. Man ist in seinem Leben auf so vielen Listen, in die man sich eintragen muss. Zum Beispiel wenn man ein Studium anfängt. Es gibt so viele Titulierungen. Es geht letzten Endes nicht darum, welche Listen angefertigt werden, sondern darum, auf welcher man sich selbst eintragen möchte.

Und welche Liste schwebt Ihnen da so vor?

„Ich glaube Woody Allen hat gesagt, ich möchte keinem Club angehören, der Mitglieder wie mich aufnimmt. Das gilt im Übrigen auch sehr für diese Liste.

Sie lassen sich zwischen Ihren Büchern immer viel Zeit. Haben Sie Schreibrituale?

„Nein. Ich habe nur eine Munition und das ist Espresso.

Legen Sie den Plot für Ihre Geschichten immer fest oder ist Schreiben eher ein Prozess für Sie?

„Unterschiedlich. Manchmal muss ich richtige Zeichnungen anfertigen, die ich an die Wand hänge und aus denen klar ersichtlich ist, welchen Verlauf die Handlung nehmen wird und welche Figuren darin auftreten. Bei mir ist es so, dass immer sehr wenige Figuren auftreten. Ich möchte es eher schlicht halten. Auch aus mangelnden Fähigkeiten heraus sicherlich, Aber vorwiegend, weil ich es als Tugend erachte, etwas Einfaches zu sagen. Berthold Brecht hat gesagt, die einfachsten Worte müssen genügen, um das Herz zu zerfleischen. Und auch die einfachsten Handlungen müssen genügen, wie ich finde. Dementsprechend war es mir bei Flug der Pelikane, wo für meine Verhältnisse viele Personen auftreten und es auch viele verschiedene Handlungsstränge gibt, schon wichtig, vorher einen klaren Handlungsverlauf ausgearbeitet zu haben.

Haben Sie literarische Vorbilder?

„Die sind so zahlreich, dass ich sie gar nicht alle nennen kann. Es ist so, dass ich in der amerikanischen Literatur vielleicht eher beheimatet bin, weil sie sehr handlungsorientiert und unmittelbarer ist, als viele andere Literaturwelten, vor allem aber als die deutschsprachige. Insofern ist das für mich eine Heimat. Hemingway, der gesagt hat, dass jedes gestrichene Adjektiv ein Sieg ist, dem fühle ich mich sehr verbunden. Er ist ein großer Held für mich.

Haben Sie schon Ideen für Ihr nächstes Buch im Kopf?

„Aus weiter Ferne kommen ein paar Gedanken zu mir. Die Ferne haftet aber noch an ihnen.

Das Interview führte Claudia Hötzendorfe

Buchtipp:

Benjamin Lebert

Im Winter dein Herz

(Hoffmann & Campe 2012, 161 S., € 18,99) 

© Claudia Hötzendorfer 2012 – Silent Tongue Productions