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Nachruf: Gary Moore

Am 6, Februar ist der irische Gitarrist Gary Moore in einem spanischen Hotel gestorben. Er wurde nur 58 Jahre alt.
Bei unserem letzten Gespräch bastelt Gary Moore im Studio an seinem nächsten Album. Trotzdem nahm sich Gary Zeit für ein Interview und plauderte über seine Liebe zum Blues, verriet welches Equipment er einsetzte und welchen Rat ihm Blues-Veteran Albert King mit auf dem Weg gab.

 

Du arbeitest gerade an deinem neuen Album. Verrätst Du unseren Lesern in welche Richtung es geht?

„Wir sind noch bei den Proben. Ab Montag geht’s ins Studio. Es wird wieder ein Blues-Album werden. Ich suche immer nach etwas besonderem. Diesmal habe ich ein paar Balladen ausgegraben. Eine davon ist von Donnie Hathaway und eine weitere von Bobby „Blue“ Bland. Das ist schon etwas Neues für mich, weil Donnie Hathaway eigentlich ein Soulsänger war. Aber der Track, den ich mir ausgesucht habe, ist schon etwas blueslastig. Es ist ein ziemlich alter Titel, den ich für die Gitarre bearbeitet habe, weil Donnie früher viel mit Gitarren gearbeitet hat.“

Du mixt immer langsame mit up tempo Nummern. Welche spielst Du lieber? Mir scheint, die langsameren Stücke geben deiner Gitarre mehr Raum.

„Stimmt, ich habe mehr Raum bei den ruhigeren Nummern. Auf meinem letzten Album beispielsweise ist ein Song der I had a dream heißt. Als wir ihn live spielten, kam er sehr gut beim Publikum an. Der Titel war immer was Besonderes für mich. Er ist eine Art langsamer Country-Song, sehr romantisch. Der Sound ist sehr speziell, weil ich eine Telecaster eingesetzt habe. So bekomme ich eine melancholische und traurige Stimmung. Ich lasse mir viel Zeit und Raum zwischen den einzelnen Phrasen. Das bringt eine gewisse Spannung in die ganze Sache. Das gefällt mir. Aber ich mag auch die up tempo Sachen. Es ist einfach ein völlig anderes Gefühl, wenn du sehr langsam spielst, dann kannst du mal Atem schöpfen und dich etwas zurücknehmen. Du musst keine Angst haben, dass die Pausen in deinem Spiel zu lang werden könnten. Das Problem, das viele Gitarristen nicht realisieren ist, wenn du ein Loch lässt, fällst du nicht gleich rein (lacht). Es hat eine lange Zeit gebraucht, bis ich selbst drauf gekommen bin. Albert King gab mir einmal den guten Rat, drauf zu achten, dass ich nicht jede Lücke fülle. Ich habe seinen Vorschlag beherzigt.“

Du bist Linkshänder, spielst aber Gitarre wie ein Rechtshänder. Wie kam das?

„Okay, ich sag dir wie’s war. Ich bin in Belfast aufgewachsen. Irgendwann kam mein Vater freitags von der Arbeit heim und fragte, ob ich Gitarre spielen lernen will. Ich mochte den Klang und mir gefiel die Idee, obwohl ich nicht dachte, dass ich das je lernen könnte. Na ja mein Dad hatte eine Gitarre dabei und drückte sie mir in die Finger. Ich habe gar nicht dran gedacht, ihn zu fragen, wie ich sie als Linkshänder spielen kann. Tja und so ist es bis heute geblieben.“

Hat dich eigentlich der Erfolg von Still got the Blues überrascht?

„Ja - das hat mich umgehauen. Ich wollte von diesem großen Rockding weg. Das hat mich einfach krank gemacht, immer das gleiche zu machen. Wir hatten 1989 und ich wollte mal was ganz anderes ausprobieren. Ich spielte immer Blues, wenn ich Backstage in der Gardarobe war und allein. Irgendwann kam mein Bassist rein und meinte, du solltest mal ein Bluesalbum einspielen. Das könnte das größte Ding werden, was du je aufgenommen hast. Ich dachte, der macht einen Witz. Es stellte sich aber raus, dass er goldrichtig lag. Ich lachte ihn aus und meinte, ja klar – genau darauf hat die Welt 1990 gewartet, ein Bluesalbum von Gary Moore, ha ha. Wir dachten, dass wir eine kleine Clubtour machen, so für einen Monat oder so. Sechs Monate später waren wir immer noch unterwegs und spielten vor 200.000 Leuten in Hyde Park und die Events wurden immer größer. Als ich etwa die Hälfte des Albums eingespielt hatte, bekam ich kalte Füße und wollte schon alles hinwerfen. Aber alle sagten, nix da, Du bringst das Album raus. Wirst sehen, das wird gut. Es war einfach so ein großer Schritt und eine totale Veränderung. Ich war schon etwas ängstlich, wie die Leute wohl darauf reagieren würden.“

Hast Du eine Erklärung dafür, warum Du als Bluesgitarrist so erfolgreich geworden bist?

„Nein. Es ist ja nicht so, als wenn es eine Formel für alles gäbe. Wenn es so wäre, würde jeder es so machen. Es gibt kein Patentrezept für ein Hitalbum. Es gibt ein paar Regeln. Aber es ist immer noch so, dass du eine zündende Idee haben musst und du musst ein Gefühl für das haben, was du tust. Weißt Du, die meisten Leute glauben den Blues zu spielen wäre leicht, weil er sich so simpel anhört. Deshalb lehnen es viele Gitarristen auch ab. Weil sie es als zu einfach empfinden und auf die anderen die den Blues spielen runterschauen. Sie glauben, die könnten nicht spielen. Tatsächlich gibt es aber nur sehr wenige, die den Blues wirklich spielen können. Es ist harte Arbeit. Schau dir mal die ganz großen Bluesgitarristen wie B. B. King an, der immer noch auf der Bühne steht. Leute wie er sind sehr sehr lange im Geschäft. Die schnappen sich nicht einfach die Gitarre und spielen ein paar Akkorde. Die haben sich ihre Karriere hart erarbeitet. Ich stelle mir den Blues wie eine Skulptur vor. Um eine klare Form zu erhalten, die man den Leuten zeigen kann, muss man nach und nach verschiedenste Schichten entfernen. Du musst dich zurücknehmen, dein Ego hinten anstellen und nicht zu viele Noten spielen. Du musst es auf das reduzieren, was wirklich nötig ist und alles andere muss weg. So erhältst Du dann die Essenz.“

 

Als Bluesgitarrist hat man den Vorteil erwachsen zu werden und man kann den Blues noch spielen, wenn man steinalt ist.

„(lacht) Gut erkannt. Genau das dachte ich auch. Ich bin jetzt in den Fünfzigern und da noch schweren Rock zu spielen – ich will ja niemandem zu nahe treten – aber ich finde das ist sehr würdelos. Wenn ich diese Altherrenbands sehe, die Musik spielen, die sie in ihren Zwanzigern geschrieben haben, fühlt sich das für mich einfach nicht mehr richtig an. Sie sind nun mal nicht mehr dieselben. Ich meine hey – ich bin 55 und nun mal nicht mehr derselbe Typ, der darüber singt, wie er ein Mädchen vor der Tür eines Clubs vögelt oder etwas ähnlich Lächerliches. Entschuldige, ich wollte nicht unverschämt werden. Was ich damit sagen will ist, wenn du älter wirst, solltest du einfach über andere Sachen schreiben. Mit anderen Worten, du solltest erwachsen werden. Das heißt ja nicht, dass man nicht immer noch Liebeslieder schreiben kann. Aber eben von einer anderen Perspektive aus, dann werden diese Liebeslieber tiefgründiger. Stell dir vor, du hast einen Traum in dem immer eine bestimmte Person auftaucht und du wünschst, du hättest eine Beziehung zu ihr. Das wird immer ein Traum bleiben, mein Geheimnis. Aber das weiß ja keiner, wenn ich einen Song drüber schreibe (lacht). Irgendwann fragte mich mein Keyboarder – wir saßen auf einen Drink zusammen – sag mir Gary, um wen geht es in Still got the Blues? Ich habe ihm nur geantwortet, so betrunken kann ich gar nicht werden, dass ich dir das sage (lacht).“

Du hast mit Albert King und B. B. King zusammen gearbeitet. Wie war das mit diesen beiden Veteranen des Blues im Studio und auf der Bühne zu stehen? Waren die begeistert, als Du bei Ihnen angeklopft hast, großartig wir spielen mit Gary Moore?

„Machst Du Witze? Ich habe mit einigen tollen Leuten gearbeitet, aber mit Albert King ins Studio zu gehen, um Pretty Woman aufzunehmen, einem Song, den er früher mal selbst gespielt hat, war unglaublich. Weißt Du Albert kam ins Studio und fragte, also was hast du für mich? Er war dabei sehr geradeheraus, aggressiv und drängelte etwas. Ich hatte einen langen Take, den ich ihm vorspielte. Er meinte, stopp das Tape. Setzte sich hin und fragte, ist es das was du willst? Dann legte er los. Ihm war das scheißegal wer ich war. Aber er mochte wohl meine Musik. Als ich ihn dann etwas besser kannte, war er sehr anspornend. Er war es, der mir riet, mehr Raum in meine Soli einzubauen. Sein Rat war: Spiel nicht jeden Lick, aber spiel jeden anderen. Klingt wie eine simple Phrase, ist aber sehr bedeutsam. Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich kapiert habe, was er damit sagen wollte. Aber heute verstehe ich es. Viele Gitarristen wissen gar nicht, wie gut sich das anfühlt. Übrigens Drummer auch nicht. Sie sind die Schlimmsten von allen. Die müssen einfach alles zuknüppeln. Weniger wäre mehr.“

Was hältst Du von Gitarrenunterricht?

„Kommt drauf an, wer ihn gibt. Nehmen wir an es ist dein Vater oder jemand der ein großes Ego hat, dann will er unbedingt, dass du so spielst wie er. Das ist immer so. Die Lehrer wollen, dass man so spielt wie sie und versuchen jede Initiative ihrer Schüler im Keim zu ersticken, wenn sie von der Musik selbst lernen wollen. Als ich anfing, gab es keinen Lehrer, den ich hätte fragen können und es gab auch keine Lehr-DVDs oder so. Mir blieb also gar nichts anders übrig, als mir die Platten anzuhören und daraus zu lernen oder anderen Gitarristen zuzusehen und mir da was abzuschauen. Ich habe ihnen immer Löcher in den Bauch gefragt, wann immer ich einen erwischt habe. Ich kann auch keine Noten lesen oder schreiben. Du wärst überrascht, wie viele Leute keine Noten lesen können. Albert King zum Beispiel kann es auch nicht.“

Hat ihm offenbar nicht geschadet. Ist vielleicht auch besser, weil man als Musiker freier ist?

„Hängt davon ab, was du spielen willst. Wenn du Jazz oder Klassik anstrebst, dann musst du wohl oder übel Noten lernen. Aber wenn ich meine Musik mache, dann ist das nicht so wichtig.“

Du hast vorhin erwähnt, dass Du keine Lust mehr hast Rock zu spielen. Macht es für dich von der Einstellung her einen Unterschied, welchen Stil Du spielst?

„Ich spiele überhaupt keinen Rock mehr. Ich mag Rockmusik. Versteh mich da nicht falsch. Aber ich steh einfach nicht mehr auf die Musik, die ich mal gemacht habe. Die hängt zu sehr in den 80ern fest. Weißt Du, als ich damals in diesen verschiedenen Bands gespielt habe, hatte ich immer das Gefühl, dass ich nicht dazu gehöre. Das ist einfach nicht meine Welt. Es fühlte sich nicht richtig an. Ich kam mir wie ein Outsider vor. Ich bin mit Blues aufgewachsen und ich mochte ihn immer schon. Irgendwann kreisten immer öfter Gedanken in meinem Kopf, die mich grübeln ließen, warum spiele ich den Scheiß eigentlich. Ich habe da keine Lust mehr drauf. Das ist einfach nicht dein Ding. Ich habe das Beste draus gemacht. Viele Leute haben mir gesagt, dass ich gut wäre. Ich selbst war nie dieser Meinung. Ich hoffe, ich zerstöre jetzt kein Bild von mir, dass sich die Leute möglicherweise machen, die immer noch gern meine Musik aus dieser Zeit kaufen, aber ich war nicht glücklich damit. Ende der Achtziger war ich soweit, dass ich diese Großproduktionen, die man immer meint zu brauchen, regelrecht gehasst habe. Ich kam mir wie im Zirkus vor. Du musst an der richtigen Stelle auf der Bühne stehen, sonst erfassen dich die Scheinwerfer nicht und all so was. Das war mir alles viel zu strukturiert. Ich wolle freier spielen, wie Jimi Hendrix oder Cream. Die Leute damals haben viel mehr improvisiert und haben einen Scheiß drauf gegeben, wie das auf der Bühne rüber kam. Die sind einfach rauf gegangen und haben gespielt. So wie es im Jazz Tradition hat. Das hat mich viel mehr interessiert, als das enge Korsett einer großen Produktion. Ich fand es lächerlich, dass ich am Schluss länger mit den Produktionsleuten diskutierte als ich mit meiner Band über die Musik sprach. Also stieg ich aus und habe mich nur noch auf Gitarre, Verstärker, Drums und eine Orgel reduziert. Das war’s. Da braucht kein Mensch eine Produktion, weil es keinen interessiert. Es geht allein um die Musik.“

 

Vielleicht denken ja noch mehr Leute wie Du und gehen in Zukunft einen ähnlichen Weg.

„Ach mach dir darüber keinen Kopf. Weißt Du, wenn ein Typ das macht, sagen wir Ozzy Osbourne oder Pink Floyd – nicht das die das je tun würden – aber nehmen wir das einfach mal an … Du kannst mit diesen Typen nicht konkurrieren. Es ist so wahnsinnig teuer solche Shows auf die Beine zu stellen. Du brauchst unglaublich viel Equipment dafür und die meisten Leute kommen noch nicht mal in die Nähe von solchen Shows. Deshalb kann ich eigentlich nur empfehlen, versuche aus dem was du machst, das Beste rauszuholen. Spiel die Musik für dein Publikum, dann wirst du selbst die Produktion. Scheiß doch auf das ganze Spektakel. Schnapp dir eine Gitarre und einen Verstärker und leg los. Wenn du gut bist, dann hören die Leute dir auch zu.“

Das ist der Punkt. Aber wenn wir über die großen Shows reden, dann kommen wir um die Frage ja nicht herum, ob da überhaupt noch die Musik der Grund ist, warum die Leute kommen. Nimm die Rolling Stones. Die Bühnenshows werden immer aufwendiger. Die Musik spielt dabei kaum mehr eine Rolle.

„Stimmt. Je größer die Produktion wird, umso unbedeutender wird die Musik. Andererseits muss man den Leuten natürlich was bieten, wenn man große Stadien füllen will. Da kannst du keinen allein auf die Bühne setzen. Die Stones haben mal als kleine Bluesband angefangen und heute ist nichts mehr davon übrig. Sie sind das genaue Gegenteil geworden.“

Die Stones wirken so, als würden sie nicht erwachsen werden wollen, um noch mal unser Thema von vorhin aufzugreifen.

„Die stecken in den 60ern fest. Sie sind aber trotzdem eine gute Band. Die haben schon ein paar richtig klasse Songs geschrieben. Das kann man ihnen nicht mehr nehmen. Nimm nur Wild Horses oder Sympathy for the Devil, das sind schon großartige Songs. Obwohl, ich muss ja zugeben, als ich aufwuchs stand ich mehr auf die Beatles. Die waren melodischer. Seltsam oder? Wenn Du dir meine Musik heute anhörst. Aber damals war das so. Ich mochte vor allem George Harrison sehr. Er schaffte es, mit jedem Song ein kurzes Statement zu verbinden und Teil eines Stückes zu sein. Ich habe eine Menge von ihm gelernt. Ich habe auch ein paar Mal mit ihm zusammengespielt.“

Hast Du eigentlich Favoriten unter deinen eignen Songs?

„Nein, nicht wirklich. Ich mag nach wie vor Still got the Blues oder Parisian Walkways. Ich mag auch viele von den neuen Songs, wie I had a Dream zum Beispiel oder Since I met you Baby, das ich mit B. B. King aufgenommen habe. Es gibt Momente in denen Du aus einem Song einfach nichts mehr rausholen kannst und dann musst Du für eine Weile damit aufhören ihn zu spielen, um später wieder darauf zurückzukommen. Manchmal muss ich sie spielen, sonst werde ich wohl gekreuzigt oder von meinen Fans an die Wand genagelt (lacht). So was wie Walking by myself. Aber ich mag es, das Stück zu spielen, weil es einen mitreißt. All your Love von Otis Rush ist noch so ein Song, weil er so viel Rhythmus hat. Besonders die Frauen mögen ihn, wegen des Textes und die Männer, weil man dazu tanzen kann. Ist schon seltsam, aber das Ding hat eine Art Latin-Rhythmus, das spüren die Leute einfach. Vielleicht mögen die Frauen ihn auch, weil er für eine Frau geschrieben wurde. Es gibt ein paar nette romantische Passagen darin. Ich mag solche Liebeslieder. Und natürlich I had a Dream. Den übrigens auch vor allem die Frauen mögen, weil sie sich mit der emotionalen Seite mehr identifizieren können als Männer. Die stehen dann mehr auf das Gitarrending.“

Du hast gerade die Texte erwähnt. Was ist zuerst da, wenn Du an einem neuen Song arbeitest, der Text oder die Musik?

„Ich verrate dir jetzt mal was. Für das letzte Album habe ich alle Texte zuerst fertig gehabt. Das war das erste Mal überhaupt, dass ich das gemacht habe. Es war viel leichter als sonst. Denn es gibt nichts Schwierigeres als einen Song zu haben und dafür dann den Text finden zu müssen. Dann gehst du ins Studio und die Band hockt da mit verschränkten Armen und wartet drauf, dass du endlich mit dem Text rüber kommst. Wenn die Jungs dir also gegenüber sitzen und dich anschauen, dann kommt alles, nur keine passenden Worte. Also habe ich es anders herum versucht. Es lief gut. Für die nächste Platte habe ich haufenweise Texte geschrieben, bevor wir am Montag ins Studio gehen. Hier und da muss ich noch dran feilen. Aber das meiste davon ist fertig. Das macht die Sache so viel leichter. Ich mag es einfach, wenn ich was habe, worüber ich singen kann. Ist allemal besser als ein Paar Riffs zu spielen und mir dann irgendwas dazu aus den Fingern saugen zu müssen.“

Wo holst Du dir Ideen für deine Songs?

„Mich inspiriert alles Mögliche. Wenn ich an einem neuen Album arbeite, dann schwirrt mir eine Menge im Kopf herum. Ich denke mir Beziehungen zu bestimmten Menschen aus oder ich kreiere einen Wunschcharakter aus verschiedenen Personen, die ich kenne. Oder ich verliebe mich im Gedanken und erfinde ein bestimmtes Szenario dazu. Denn wenn ich mir vorstelle, dass ich eine Beziehung zu diesem Menschen habe, kann ich ein schönes Liebeslied schreiben. Natürlich behalte ich für mich, um wen es dabei wirklich geht. Sonst bringt mich noch jemand um die Ecke (lacht). Stell dir mal vor, ich offenbare mich und die Person, die ich in meinen Song anhimmele lehnt mich ab. Oder meine Freundin würde eifersüchtig. So als Künstler hat man es leicht, man kann ein perfektes Bild malen und muss niemanden sagen, wer damit gemeint ist. Was ich hier so wortreich sagen will ist, wenn du Songs schreiben willst, musst du Phantasie haben.“

Wie denkst Du darüber, wenn deine langsamen Stücke auf Compilations wie Kuschelrock landen?

„Das ist okay für mich. Die Leute sagen mir öfter, dass sie sich verliebt haben, während einer meiner Songs lief. Ich bin auch schon auf der Straße auf Empty Rooms aus den 80ern angesprochen worden, dass der ganz besonders sei. Ist doch toll. Stell dir mal vor, da kommt einer und sagt, hey Gary – ich habe meine Frau abgestochen, während ich deinen Song gehört habe. Danke – jetzt hasse ich das Stück auch (lacht). Songs können alle möglichen Auswirkungen auf denjenigen haben, der sie hört. Ob es nun ein Liebeslied ist oder einer meiner wütenden Songs von früher. Die Stücke tragen alle sehr viele Emotionen in sich, die sie rüberbringen.“

Kennst Du Gloomy Sunday? Das ist ein todtrauriger Song aus den 30er Jahren. Als der im Radio lief, haben sich unzählige Menschen umgebracht. Wie grausam für den Komponisten.

„Den kenne ich. Ist das nicht schrecklich? Aber das beweist es doch, Musik kann sehr machtvoll sein. Wovon ich allerdings überhaupt nichts halte, ist den Songschreiber oder Komponisten zu bestrafen, wie das in den USA mal der Fall war, weil sich Kids umgebracht haben, nachdem sie einen Song von Judas Priest gehört hatten. Ich meine, ich mochte das Stück auch nicht, weil es so schlecht war. Aber ich habe mich deshalb nicht umgebracht. Jedenfalls die Kids waren überzeugt davon, in dem Stück wäre eine geheime Botschaft versteckt, wenn man ihn rückwärts abspielen würde. Also wirklich. Das waren ein paar einfache Typen aus Birmingham. Die haben mal gesagt, wenn sie wüssten, wie man geheime Botschaften auf ihre Platten schmuggeln könnte, wären sie die ersten, die diese Scheibe kaufen würden (lacht). Am meisten war wohl die Band selbst geschockt von dem Effekt, den ihr Song hatte. Das hat sich damals sehr auf die Heavy Metal Szene ausgewirkt. Es gab Gerichtsverfahren. Dabei stellte sich dann heraus, dass die Eltern der Kids für deren Selbstmord verantwortlich waren. Sie waren Alkoholiker und gewalttätig. Das ist immer eine ganz schlechte Basis, um Kinder aufzuziehen. Es ist schon lächerlich, was alles so über Musik im Umlauf ist.“

 

Wer hat dich denn musikalisch am meisten beeinflusst?

„Als ich anfing mich für Musik zu interessieren war ich 10. Das war in den 60ern als einige der großen britischen Bluesbands am Start waren mit Eric Clapton, John Mayall, Peter Green, Jeff Beck und Jimi Hendrix. Die vier haben mich sehr beeinflusst und natürlich George Harrison, auch wenn er mit Blues nicht so viel am Hut hatte. 1966/67 war es vor allem Jimi Hendrix, der meiner Art zu spielen eine Form gegeben hat. Ich habe mit Billy Cox und Mitch Mitchell – Jimis damaliger Rhythmusgruppe - im letzten Oktober in London zusammengespielt für die Aufnahmen einer DVD. Mir gefiel immer die Art, wie diese Typen Gitarre gespielt haben. Das war damals einfach anders als heute, weil es nicht so sehr darum ging, Geld zu verdienen. Sondern alles fokussierte sich auf die Musik. Damals gab es noch nicht diesen Konkurrenzkampf unter den Musikern, so wie es heute ist. Jeder denkt, er müsste sich mit den anderen messen. Die Verkaufszahlen der CDs sind dabei das wichtigste. Heute ist Musik weniger kreiert als designed. Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich in einer Zeit aufwachsen konnte, in der die Musik freier war als heute.“

Da Du gerade davon sprichst. Wie siehst Du die Entwicklung, die das Musikgeschäft nimmt?

„Es ist so hart wie nie im Geschäft zu überleben. Denn die Plattenfirmen saugen dich aus und spucken dich dann aus. Wenn ein junger Mensch heute ins Geschäft will – mein Sohn zum Beispiel, der spielt Gitarre und ist 20 – dann muss er wissen, dass die Label ihm keine Zeit geben. Die wollen alles sofort. Sie geben einem Künstler nicht mehr die Chance sich zu entwickeln und wenn Du nicht sofort auf Platz 1 der Charts landest, dann lassen sie dich fallen und picken das nächste Kid auf. Schau dir doch nur Amy Winehouse und solche Leute an. Die war erst 19 als sie anfing. Sie ist wirklich talentiert, vielleicht derzeit die beste Nachwuchssängerin die wir in Großbritannien haben. Aber sie flippt total aus. Das passiert fast allen. Sie nehmen Drogen, um überhaupt noch mit den Druck klar zu kommen. Und je mehr Drogen sie konsumieren, desto höher wird der Druck von außen. Also werfen sie noch mehr Drogen ein, weil sie sich selbst unter Druck setzen. Das ist ein Teufelskreis. Ich habe zwar keine Antwort darauf. Aber ich kann sie verstehen.“

Welchen Tipp würdest Du denn einem jungen Musiker geben?

„Sei vorsichtig mit dem was du tust und glaube an dich. Denn niemand anders wird es für dich tun. Es gibt eine Menge Leute, die an sich glauben. Schau dir nur Amerika an. Das Land ist voll von solchen Leuten. Du kannst alles erreichen, wenn du an dich und deine Sache nur fest genug glaubst. Na gut, du kannst vielleicht kein Astronaut werden, wenn du total verblödest bist. Aber wie Du siehst, kann man Präsident werden, wenn man total verstrahlt ist (lacht). Ich frage mich schon lange, wie er aus der Nummer wieder raus kommt. Er wurde durch Geld ins Weiße Haus gebracht und ist sowieso nur eine Marionette. Aber ich schweife gerade ab. Was du nicht machen kannst ist, den Menschen sagen, dass sie alles machen und werden können was sie wollen. Das ist definitiv nicht war. Es gibt Leute die leben ein hartes Leben mit schweren Jobs. Damit fängt ihr Leben an und es endet auch damit. Talent ist ein Geschenk. Habt Ihr in Deutschland auch diese Talentshows?“

Ja.

„Schau dir mal die Kids an. Es sind immer wieder tausende, die sich da melden. Darunter sind immer ein paar, die herausragen. Mein Tipp ist also. Arbeite hart an dir und wenn du Talent hast, dann weißt du das auch. Du bist nicht talentiert, nur weil andere es dir sagen.“

Da viele unserer Leser Musiker sind, interessiert uns natürlich, welches Equipment Du mitnimmst, wenn Du auf Tour gehst.

„Meistens nehme ich Gibson-Gitarren mit. Ich spiele vor allem Les Paul. Ich habe eine 59, aber die nehme ich nicht mehr mit auf Tour. Ich bräuchte sie nur für vier Songs und dafür ist sie mir einfach zu schade. Aber ich spiele sie auf der Platte. Ich bringe eine 1962 335 Gibson und eine 1968 Telecaster mit.“

Und welches Equipment benutzt Du im Studio?

„Kleine Amps, wie eine Fender Vibraverb. Ich brauche keine 100 Watt Amp im Studio. Ich gehe selten über 51. So nehme ich meistens einen 51 Marshall DSL. Ich habe kleinere Amps im Studio als auf der Bühne. Da nehme ich dann eine 100 Watt Marshall DSL 200.“

Claudia Hötzendorfer