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Interview: Margarethe von Trotta

Heute würden die Medien sie als Multitalent und Powerfrau bezeichnen. Im finsteren Mittelalter war Hildegard von Bingen ihrer Zeit weit voraus, schrieb über ganzheitliche Medizin und mahnte einen respektvollen Umgang mit der Natur. Margarethe von Trotta hat das Leben dieser außergewöhnlichen Frau mit Barbara Sukowa in der Hauptrolle verfilmt. Die Regisseurin und Drehbuchautorin sprach mit Claudia Hötzendorfer über ihre Faszination für die Äbtissin.

Können Sie sich noch an den Moment erinnern, in dem Sie zum ersten Mal mit Hildegard von Bingen in Berührung kamen?

Das war schon Anfang der 1980er Jahre. Ich habe ihr Buch Liber Scivias Domini (Wisse die Wege) gesehen und war fasziniert von den Bildern darin. Sie waren sehr außergewöhnlich, fast schon modern und überhaupt nicht so, wie man sich allgemein das Mittelalter vorstellt. Sie kennen sicher die Bilder, die Hildegard beispielsweise inmitten mehrere Kreise stehend zeigen. Hinzu kam natürlich, dass mich damals auch Frauen, die nach historischen Vorbildern suchten, auf Hildegard hinwiesen. Das war der Beginn meiner Beschäftigung mit ihr, aber mein allererster Zugang zu ihr geschah zunächst mehr über die Bilder als über ihre Schriften.

Das heißt, Hildegard spielte auch in der Frauenbewegung eine Rolle?

Unbedingt! In den 1980er Jahren haben die Frauen nach Identifikationsfiguren in der Geschichte gesucht. Viele weibliche Vorbilder gab ja es nicht, denn bekanntermaßen wurde die Geschichte von Männern geschrieben. Darin tauchten naturgemäß nicht gerade viele Frauen auf. Trotzdem wurden die Feministinnen bei ihren Recherchen fündig und sind schließlich auf Hildegard von Bingen gestoßen. Das war mein erster Kontakt mit ihr und die Initialzündung für den Film, wenn Sie so wollen.

Was hat Sie so sehr an dieser Person fasziniert, dass Sie ihr ein Filmprojekt gewidmet haben?

Heute würde man sagen, sie ist ein Multitalent. Und ich finde, sie hat in gewissen Gedanken, die sie formuliert hat, eine erstaunliche Modernität, die auch im Film angesprochen wird. Da ist einerseits die ganzheitliche Sicht auf den Menschen: Dass man erst die Seele heilen muss, damit der Körper folgen kann. Mit anderen Worten, gegen eine Expertenmedizin, die sich meist nur auf einen Teilaspekt konzentriert und dabei vergisst den gesamten Menschen in Diagnose und Behandlung mit einzubeziehen. Andererseits ihre Warnung, dass sich die Elemente - heute würden wir sagen die Natur - gegen uns wenden können, wenn wir sie nicht schützen und nicht vernünftig mit ihnen umgehen. Und die Natur wird sich gegen uns wenden, wenn wir sie nur ausbeuten wollen und nur an uns selber denken. Auf diesem Wege sind wir ja schon seit geraumer Zeit. Wie zerstören die Umwelt, bringen sie aus dem Gleichgewicht und sie antwortet, etwa mit Klimaveränderungen oder Naturkatastrophen. Dass man solche Gedankengänge schon bei ihr findet, fand ich sehr überraschend.

Was können wir heute von der historischen Hildegard lernen?

Auf jeden Fall einen respektvollerem Umgang mit der Umwelt und mit den Menschen. aber die Frage ist für mich nicht leicht zu beantworten. Wissen Sie, ich mache einen Film nie, um die Zuschauer zu ermahnen. Ganz im Gegensatz zu Hildegard, die ihre Visionen der Öffentlichkeit mitgeteilt hat, um die Menschen zu mahnen und sie zu Gott zurückzuführen. Ich mache einen Film nicht wegen einer Botschaft. Ich bin auch keine Pädagogin. Ich stelle Dinge dar, gehe gewissen Personen, Situationen oder Zeiten nach und versuche das in Film umzusetzen. Was die Menschen dann daraus lernen können, überlasse ich gern jedem selbst.

 

Sie haben auch das Drehbuch zum Film geschrieben. Wie haben Sie sich der historischen Figur dafür genähert?

Indem ich erst einmal alles was sie selbst geschrieben hat gelesen habe. Das heißt die Aufzeichnungen ihrer Visionen, ihre eigene Vita, die sie noch diktiert hat und ihre Korrespondenz. In Briefen lässt sich ein Mensch noch am ehesten erkennen. Natürlich habe ich auch Biografien über sie gelesen, zum Beispiel von Barbara Beuys - Ich bin krank vor Liebe. Dieses Buch war eine meine Hauptquellen, was Hildegards Leben betrifft. Außerdem habe ich sehr lange mit Schwester Philippa vom Hildegardkloster in Eibingen gesprochen. Sie hat mich eingeladen einen Profess im Kloster mit zu erleben. Das ist eine Zeremonie, bei der eine Nonne sich endgültig für das Klosterleben entscheidet und den Schleier nimmt. Das war sehr beeindruckend, weil die Frau so jung und heiter war. Dann habe ich eine Freundin, die Mediävistin ist und sich mit Hildegard von Bingen beschäftigt hat, befragt. Sie brachte mich beispielsweise auf den Kuss, den man sich im Mittelalter auf den Mund gab, wenn ein Vertrag abgeschlossen wurde. Darüber gibt es sogar eine ganze Abhandlung. Ich wusste nicht und ich bin auch sicher, dass es nur wenigen bekannt ist. Die Menschen haben sich sowieso viel mehr geküsst, glaube ich, es war ja noch die Zeit vor der Pest.

Was war für Sie die größte Herausforderung bei dem Projekt?

Hildegard spannend darzustellen, ohne sie zu verkitschen. Das war eines der Hauptanliegen auch von Barbara Sukowa (Anmerkung: Sie spielt Hildegard von Bingen), dass es eine Frau wird, die trotz ihrer vielen Krankheiten eine erstaunliche Kraft hat, tief gläubig ist, aber dabei niemals pathetisch oder kitschig wird.

Sie konnten ja nicht an den Originalorten drehen, weil die nicht mehr existieren und es ist auch nicht im Detail bekannt, wie die Menschen im Mittelalter gelebt haben. Was war Ihnen wichtig in Bezug auf das Setting für den Film?

Man liest und erkundigt sich bei Fachleuten so viel wie möglich. Es gibt ja auch alte Darstellungen, die als Orientierung dienen können. Es sind zwar hauptsächlich Fresken und Buchmalereien, aber man muss sich dem anvertrauen, was man vorfindet. Dass es sich dabei hundertprozentig um die Wahrheit handelt und alles so stimmt, kann ich natürlich nicht behaupten. Wir haben aber versucht in den Bildern die Kargheit des Klosterlebens darzustellen.

Ihre Erzählung über Hildegards Leben endet mit dem Aufbruch zu ihren Missionspredigten und nicht, was nahe gelegen hätte, mit ihrem Tod.

Das war der Moment, in dem sie sich nach außen geöffnet hat und tätig wurde. Vorher war ihre Arbeit weitgehend nach innen gerichtet und immer innerhalb der Klostermauern. Bis auf den Besuch bei Kaiser Barbarossa auf Burg Ingelheim, der sie einlud und der historisch auch belegt ist. Sonst kamen die Leute aber zu ihr oder sie hat mit ihnen korrespondiert. Mit sechzig Jahren geht sie auf einmal los, das war absolut ungewöhnlich, ja unerhört für eine Frau. Denn nach Paulus durften die Frauen ja noch nicht einmal in der Öffentlichkeit den Mund aufmachen. Und sie wagt es auf Predigerreise zu gehen und die Menschen in aller Öffentlichkeit zu ermahnen! Natürlich wären das schöne Szenen und Momente gewesen. Aber ich wollte nicht aus den Klostermauern hinausgehen und habe deshalb dieses Ende gewählt.

Hat sich Ihr Bild von Hildegard während der Arbeit an dem Projekt verändert?

Sie ist mir vertrauter geworden. Zunächst schien sie mir noch sehr weit weg zu sein, nicht nur wegen des zeitlichen Abstands, was sicher auch mit ihrer Sprache zutun hat. Ich kann aber nicht behaupten, dass es einen Moment gab in dem ich gesagt hätte, so jetzt kenne ich sie. Es ist eine Annährung an die Person gewesen und auch geblieben.

Es ist bekannt, dass Hildegard oft sehr krank war und, dass sie – wollte sie einmal etwas durchsetzen – ziemlich hartnäckig sein konnte. Im Film wirkt es manchmal so, als hätte sie ihre Krankheit bewusst als Druckmittel eingesetzt. Ich denke da etwa an eine Szene, in der ihr bereits die letzte Ölung verabreicht wurde und sie plötzlich vom Lager aufstand, so als hätte sie sich nur mal eben ausgeruht um nachzudenken und wieder an die Arbeit ging.

Sie hat ihre Krankheit sicher tatsachlich als Druckmittel genutzt und andererseits auch wieder nicht. Denn sie war ja wirklich oft sehr krank. Ich erinnere mich noch an meinen Sohn, der es immer wieder geschafft hat krank zu werden, wenn ich weg musste auf Motivsuche und oder an ferne Drehorte, Ich konnte oft nicht fahren, weil er nicht simuliert hat, sondern wirklich krank war. Es gibt psychische Vorgänge, denen der Körper einfach folgt. Das hat Hildegard offenbar sehr gut verstanden. Sie war von ihren Kindertagen an immer wieder krank und sie konnte auch immer wieder krank werden, wenn sie etwas durchsetzen wollte. Dieses Phänomen, dass ihr Unbewusstes offensichtlich so stark war, dass es sie gelenkt hat, finde ich ungeheuer spannend.

Ein, wenn nicht der wichtigste Aspekt in Hildegards Leben war der Glaube. Können Sie das für sich nachvollziehen?

Ich kann es über mein Wissen diese Zeit betreffend. Im Mittelalter waren die Menschen nun einmal sehr streng gläubig. Sie haben die Existenz Gottes auch nicht angezweifelt. Für sie waren Gott und der Teufel, Paradies, Hölle und Verdammnis Wirklichkeiten. So wie sie glaubten, dass die Erde eine Scheibe ist. Der Himmel über uns. Wir blicken ja heute noch in den Himmel, wenn wir an Gott denken, obwohl wir mittlerweile wissen, dass die Erde eine Kugel ist.

Spielt Religion oder Spiritualität auch für Sie privat eine Rolle?

Ich bin nicht in dem Sinn religiös, dass ich jeden Sonntag in die Kirche gehe. Ich bin keine aktive Christin. Anderseits versuche ich in meiner Lebenshaltung und meinem Umgang mit anderen Menschen dem, was Christus gesagt hat – wenn er es wirklich gesagt hat – gerecht zu werden.

Wie wichtig war es Ihnen auch die Kompositionen von Hildegard im Film auftauchen zu lassen?

Sehr wichtig. Weil ich gerade mit ihrer Musik schon sehr lange vertraut bin und sie auch sehr liebe. Ich wollte aber den Film nicht damit zuschütten. Wir sitzen ja im Kino und nicht in der Kirche. Deshalb habe ich mir nur zwei Lieder oder Gesänge ausgesucht, die mir besonders gefallen. Ich habe die Schauspielerin Salome Kammer, die eine großartige Sängerin hauptsächlich zeitgenössischer Musik ist, gebeten in meinem Film aufzutreten. Sie hat durch ihre Stimme den Gesängen etwas Lebendiges, fast Leidenschaftliches verliehen. Hätten wir eine vorhandene Musik von CD einfach nur über die Szenen gelegt, hätte sie zu perfekt und clean geklungen. Ich wollte den Zuschauern aber das Gefühl vermitteln, da steht und fühlt eine lebendige Person.

Am 17. September feiert man in Eibingen das Hildegardisfest. Ist es Zufall, dass auch der Film im September startet?

Ja, den Termin hat der Verleih so angesetzt. Aber es freut mich, dass es so übereinstimmt.

War die Besetzung für die Hauptrolle für Sie von Anfang an klar?

Ja – Barbara Sukowa! Ohne sie hätte ich den Film wahrscheinlich nicht gemacht. Bei Barbara bin ich mir einfach sicher, dass sie nie in Kitsch oder Pathos abrutscht. Was mir für die Darstellung der Hildegard sehr wichtig war. Während ich am Drehbuch geschrieben habe, hatte ich Barbara dabei schon immer vor Augen. Bei den anderen Schauspielern war es so, dass ich sie erst gesucht habe, als klar wurde, ich mache diesen Film.

Ich danke Ihnen für das Gespräch.

Claudia Hötzendorfer

Vision – aus dem Leben der Hildegard von Bingen

Fotos

  • Concorde

Verleih

  • Concorde

Start

  • 24. September 2009

Länge

  • 111 Min.

Regie

  • Margarethe von Trotta

Darsteller

  • Barbara Sukowa, Hannah Herzsprung, Lena Stolze, Heino Ferch, Alexander Held u. a.

Musik

  • Chris Heyne und Originalkompositionen der Hildegard von Bingen

FSK

  • ab 12 Jahre

Buchtipps

  • Gabriele Göbel - Die Mystikerin Hildegard von Bingen (Biografie, Aufbau 2009, 448, € 9,95)
  • Christine Büchner - Hildegard von Bingen (Biografie, Insel 2009, 220 S., € 7,50)
  • Barbara Beuys - Denn ich bin krank vor Liebe – Das Leben der Hildegard von Bingen (Biografie, Insel 2009, 379 S., € 12,90 )
  • Petra Welzel - Hildegards Lied . Hildegard von Bingen, der Roman ihres Lebens (Roman, Fischer 2006, 444 S., € 8,95)