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Interview: Lizz Wright – Wie ein Umzug und ein Unfall ihr Leben verändert hat

Fünf Jahre mussten sich ihre Fans gedulden, bis Lizz Wright ein neues Studioalbum präsentiert. Das Warten auf Freedom and Surrender hat sich auf jeden Fall gelohnt. Die in Georgia geborene Sängerin zeigt einmal mehr die ganze Bandbreite ihres Könnens, das neben überwiegend eigenen Stücken, auch mit gelungenen Coverversionen überzeugt.

Culture & Spirit sprach mit Lizz über ihre Hobbys kochen und gärtnern, wie ein schwerer Autounfall und ein Umzug ihr Leben umgekrempelt hat. Aber auch, wie sie damit umging, dass ihr altes Label Verve, sie nach 14 Jahren rausgeworfen hat.

Als wir uns das letzte Mal sprachen, gerade war dein Album Fellowship erschienen, hast Du währenddessen gekocht. Stimmt es, dass Du inzwischen einen Abschluss am New Yorker National Gourmet Institute gemacht hast?

(lacht) „Ich strebe eine zweite Karriere als Köchin an, neben dem Rockstardasein. In der Musikindustrie zu sein, kostet viel Zeit und Energie. Da bleibt wenig Raum für etwas anderes. Was habe ich gemacht? Ich habe mich ans Essen gehalten. Ich habe ohnehin schon immer gern gekocht und jetzt ist mir erst wirklich klar, wie hart die Leute in den Restaurants schuften.“

Natural Gourmet Institute, das hört sich vor allem nach gesundem Essen an.

„Ja, stimmt. Die Gründerin Annemarie Colbin ist Vegetarierin. Sie beschäftigte sich intensiv damit, wie Nahrung heilen kann. Ihr Programm basiert auf Grundwerten wie Integrität, Innovation, Respekt, Gemeinschaft oder auch unabhängiges Denken. Man lernt in den Kursen beispielsweise, wie man aus wenig, viel machen kann oder womit man beispielsweise Zucker und Weizen gut ersetzen kann. Dr. Colbin hat ganz klein in ihrer Küche in New York angefangen, irgendwann in den 1970ern. Inzwischen ist ihre Schule ziemlich bekannt. Sie hält Vorträge und hat auch Bücher geschrieben. Ihre Art mit Nahrung umzugehen hat mir gefallen und meine Sicht völlig umgekrempelt. Na ja und wenn man so abgeschieden in den Bergen lebt wie ich, dann sollte man schon etwas mehr drauf haben, als nur Kaffee kochen.“ (lacht)

 

Du bist aufs Land in die Appalachen gezogen.

„Ich liebe es hier. Es ist ruhig und abgeschieden. Außerdem lebe ich jetzt nur ein paar Stunden Fahrt von dem Ort entfernt, an dem ich aufgewachsen bin. So kann ich einfach mal kurz hin. Es ist wie ein Geschenk. Eigentlich auch ein romantisches Fleckchen, wenn man diese Art Landschaft mag. Ich liebe es, wenn ich nachhause fahre, die Berge zu sehen. Es tut mir einfach gut. Vorher habe ich in Seattle/Washington gewohnt. Das Kontrastprogramm wenn Du so willst. Jetzt ist es einfach perfekt und diese Ruhe fließt auch in meine Arbeit mit ein.“

 

Ich habe kürzlich den letzten Roman von John Grisham gelesen – Anklage – und der spielte in den Appalachen. Es ging dabei um den Kohlebergbau und um die damit verbundene Umweltzerstörung.

„Ja es ist hier leider nicht anders, als in anderen Teilen der Welt, wo Bodenschätze zu finden sind. In dem Teil, in dem ich lebe, ist die Natur noch weitgehend unberührt und ich genieße das sehr.“

Wie sehr prägt die Umgebung deinen Zugang zur Musik?

„Ich brauche einfach das Gefühl ein echtes Leben zu haben. Ich habe gern in Seattle oder New York gelebt. Aber dort führte ich ein Leben voller Routine, was natürlich auch mit der Arbeit an meinen Alben zusammenhing. Hier kann ich im Garten werkeln und in meinen Beeten buddeln. Ich brauche das einfach, um mich zu erden. Das tut mir so gut, dass ich in dieses alte Leben gar nicht mehr zurück möchte. Das klingt jetzt vielleicht härter, als es gemeint ist. Ich habe ja immer noch Freunde dort und Familie. Ich fahre auch gerne immer wieder hin zu besuch. Aber mein Leben ist jetzt hier in den Bergen. Gerade gestern habe ich bei einer Tasse Tee auf der Veranda meiner 91-järigen Nachbarin gesessen und mich mit ihr lange unterhalten. Sie ist unglaublich. Von ihr lerne ich viel darüber, wann man was anpflanzt und erntet. Wie das Gemüse am besten zubereitet wird. Was bei den Mondphasen zu beachten ist. Ich kann gar nicht genug davon bekommen.“

 

Lass uns etwas über dein neues Album plaudern. Ursprünglich war eine Platte mit Coverversionen zum Thema Liebe geplant. Es kam anders. Freedom and Surrender besteht aus vorwiegend Originalmaterial zum Thema Liebe. Warum der Sinneswandel?

„Klar war, es sollte auf dem Album um Liebe gehen. Da ich seit fünf Jahren keine Platte mehr aufgenommen hatte, stand da die Idee im Raum, Coverversionen aufzunehmen. Anfangs fand ich die Überlegung auch nachvollziehbar. Nur als ich dann mit der Arbeit begann, wollte ich es doch mit eigenem Material probieren. Ich fand, ich habe dazu auch einiges zu sagen.“

 

Du hattest tolle Unterstützung im Studio. Unter anderem Larry Klein. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit ihm?

„Die Arbeit an diesem Album war unglaublich. Ich hatte wirklich großartige Leute dabei. Gerade Larry hat mir sehr dabei geholfen, meine eigene Stimme zu finden und das was ich wirklich sagen will, in die Songs mit einfließen zu lassen. Ich hatte wirklich eine tolle Zeit. Wahrscheinlich ist das mein bislang bestes Album. Es hat zwar lange gedauert, bis ich wieder ins Studio gegangen bin. Dafür ist es aber in jedem Fall mein Favorit. Was wohl auch an dem Schreibprozess als solchem liegt. Es brauchte einfach Zeit, um diese Songs entstehen zu lassen. Zwischendrin habe ich ja auch das Label gewechselt. Aber ob Du es glaubst oder nicht, am Ende haben wir 16 Tracks in sechs Tagen aufgenommen.“

Du warst in Nashville, New York und L. A. im Studio. Beeinflusst dich die Umgebung oder sind es doch eher die Musikerkollegen und es ist egal, wo Du aufnimmst?

„Oh der Strand von Los Angeles hat auf jeden Fall seinen Weg auf das Album gefunden. Die Umgebung hat für mich immer einen großen Einfluss. Wo immer ich für ein paar Tage bin, schaue ich mich um. Suche nach einer Joggingstrecke oder einem ruhigen Plätzchen. Und gerade am Strand von L. A. sind mir ein paar Gedanken gekommen, die in meine Songs einfließen konnten. Ich glaube auch die Sonne hatte ihren Anteil daran. Ein Teil des Albums habe ich ja in New York aufgenommen. Das waren zwar großartige und historische Studios, aber leider eben auch kleine und dunkle Räume, mitten in Manhattan. So waren die Aufnahmen schon eine sehr interessante und abwechslungsreiche Erfahrung, emotional wie körperlich. Abgesehen davon, hatte ich auch tolle Gespräche mit interessanten Menschen, egal, wo ich mich gerade aufhielt.“

 

Wir haben vorhin über die Idee eines kompletten Cover-Albums gesprochen. Drei Coversongs haben es dann aber doch auf die Platte geschafft. Darunter To Love Somebody der Brüder Gibb und The First Time Ever I Saw Your Face, dass uns allen noch von Roberta Flack im Ohr klingt. Besonders To Love Somebody ist unglaublich intensiv geworden. Warum gerade diese Stücke und wie hast Du sie zu deinen eigenen Versionen gemacht?

„Ich habe mir zunächst einmal angehört, wie es Nina Simone und Roberta Flack gesungen haben. Es gibt da ein schwarzweiß Video auf YouTube von Nina Simone. Und der erste Gedanke war, es ist unmöglich, diesem Stück noch einen eigenen Stempel aufzudrücken. Denn mir gefielen ihre Versionen so sehr. Ich hatte die Idee, ein Gospelelement mit hinein zu nehmen, weil das auch mein musikalischer Background ist. Am Ende war es eigentlich Larry, der mich motiviert hat, einfach auf mein Bauchgefühl zu hören. Es hat funktioniert. Ich war ganz bei mir, als wir ins Studio gingen und hatte meine ganz eigene Version im Kopf. Mit Larry zu arbeiten ist wirklich bereichernd. Er weiß einen Künstler zu leiten, ohne ihn zu sehr mit eigenen Ideen zu bedrängen. Larry hat häufig mehrere Projekte parallel, aber er schafft es immer individuell mit jedem Künstler zu arbeiten, sich auf dessen Tempo einzulassen und die Zusammenarbeit mit ihm ist immer konstruktiv.“

 

Stimmt es, dass dich der Tod von Schriftstellerin und Bürgerrechtlerin Maya Angelou zu Here & Now inspiriert hat?

„Jaein. Es war nicht direkt ihr Tod. Aber sie starb tatsächlich einen Tag, bevor wir den Song fertig zu stellen. Wir hatten davon gehört und waren im Studio, um das Stück aufzunehmen. Wir hatten alles schon arrangiert, die Gitarren und so weiter. Als ich dann anfing zu singen, war mir plötzlich klar, dass Maya aus mir sprach. Plötzlich war sie so präsent, als wäre sie mit im Raum und dann kamen die Worte von ganz allein, ohne dass ich noch viel darüber nachdachte.“

 

Du beschreibst in dem Begleittext zu deinem Album eine Nahtoderfahrung. Was hat sich nach dem Unfall für dich verändert?

„Es war Ende April und es hatte geschneit. Die Straße war spiegelglatt, was unter normalen Bedingungen schon gefährlich sein kann, in den Bergen ist es noch einmal etwas ganz anderes. Ich war auf dem Weg ins Studio. Im Kofferraum lag meine gepackte Reisetasche. Die Songs waren alle fertig geschrieben und mussten nur noch aufgenommen werden. Also standen alle Zeichen auf: es kann losgehen. Auf der vereisten Straße verlor ich die Kontrolle über meinen Wagen, geriet ins Schleudern und blieb schließlich halb über dem Abgrund stehen. Das alles spielte sich für mich irgendwie in Zeitlupe ab. Mir ging durch den Kopf, okay – die Songs sind noch nicht fertig, aber zumindest schon geschrieben. Es kann also nichts mehr passieren, ich blieb einfach sitzen und dachte über dies und das nach, Ich war völlig ruhig, obwohl ich da halb über dem Abgrund hing. (lacht) Nach einer gefühlten Ewigkeit – es waren tatsächlich wohl etwa 20 Minuten - griff ein Junge aus der Nachbarschaft, den ich flüchtig vom sehen kannte, durch mein Seitenfenster, öffnete die Tür und zog mich langsam aus dem Auto heraus. Ich war irgendwie die Ruhe selbst, wie gesagt, die Songs fürs Album waren fertig. Also alles okay. Mir war die Gefahr gar nicht bewusst. Im Nachhinein bin ich sehr dankbar für diese Erfahrung. Ich fahr diese Strecke sehr häufig, nach wie vor. Wann immer ich an der Stelle vorbeikomme, an der ich ins Schleudern geriet, mache ich mir bewusst, welch unglaubliches Glück ich hatte und welches Geschenk es für mich ist, unverletzt und am Leben geblieben zu sein. Der Wagen allerdings hatte einen Totalschaden. Diese zwanzig Minuten nach dem Unfall haben mich verändert. Ich weiß inzwischen selbst die kleinsten Dinge und Momente zu schätzen. Ich habe mein Leben verändert, nehme vieles nicht mehr so wichtig und ich brauche auch nichts mehr, um wirklich glücklich zu sein. Aber da im Auto ging mir durch den Kopf. Moment mal, ich bin noch nicht wirklich fertig mit dem Album. Klar die Songs sind geschrieben, aber ich habe so hart daran gearbeitet, jetzt muss ich auch unbedingt ins Studio und sie aufnehmen. (lacht) Also ich denke, ich hatte an diesem Tag nicht nur ein gutes europäisches Auto, das mich vor dem Schlimmsten bewahrt hat, sondern auch einen musikalischen Schutzengel, der unbedingt wollte, dass ich noch ins Studio gehe.“ (lacht)

Du bist als Tochter eines Predigers aufgewachsen. Inwieweit spielen Glaube und Spiritualität für dich eine Rolle?

„Ich habe schon zu viel gesehen, um nicht an eine höhere Kraft zu glauben. Ich denke, Liebe ist eine große Kraft, die uns hilft zu heilen. Ich bin immer wieder fasziniert davon, was Liebe erreichen kann und wie sie einen beflügelt.

Als der Abschleppdienst meinen Wagen am Tag nach dem Unfall vom Felsen zurückzog, schaute mich der Fahrer ernst an und meinte, Lady – ich weiß nicht, wer sie sind, aber ich sage ihnen, sie haben noch einiges an Arbeit vor sich.“

 

Dein Begleittext, den ich schon erwähnte habe, liest sich sehr poetisch. Hast Du schon einmal darüber nachgedacht zu schreiben?

„Danke. Ich glaube, ich würde mich auch lieber als Schriftstellerin, denn als Köchin sehen, wenn es irgendwann mit dem Singen nicht mehr klappt. Für mich hat das Kochen etwas meditatives, bei dem ich zur Ruhe kommen kann oder wenn ich mit Freunden zusammen bin, ihnen etwas Gutes zu tun. Nahrung ist eine gute Möglichkeit mit Menschen in Verbindung zu treten. Deshalb liebe ich es. In meiner Gemeinde gibt es eine kleine Kirche. Nach der Messe sitzen wir oft zusammen und essen. Das hat etwas ebenso Verbindendes wie die Musik.

Schreiben ist für mich mehr etwas Inneres, das mir dabei hilft, mich auszudrücken, mich mitzuteilen. Aber es ist etwas Intimeres als kochen.“

 

Du hast es vorhin schon kurz erwähnt, dein altes Label Verve hat dich nach 14 Jahren fallen gelassen. Wie war das für dich und was hat das für deine Arbeit als Künstlerin bedeutet?

„Am Ende war es eigentlich eine logische Konsequenz. Ich war ziemlich beunruhigt darüber gewesen, in welche Richtung sich das Label mit der Zeit entwickelt hat. Drei Jahre vorher bat man mich nach L. A. um die neuen Manager zu treffen. Ich hatte die ganze Zeit den Eindruck, dass es ihnen weniger darum ging, zuzuhören, was ich mir so für die Zukunft vorstellte, als mir zu erklären, was sie bereits entschieden hatten. Verve war immer eine Ikone für mich. Etwas, das mich stolz gemacht hat, ein Teil davon zu sein. Nun hatte ich das Gefühl, in einem Kindergarten zu sein. Da waren ein paar Kids, die mit den Künstlern umgingen, als seien sie Figuren auf einem Spielbrett.

Ich hatte meine Demos schon fast alle fertig und erfreulicherweise war schon kurz nach dem Rausschmiss ein anderes Label bereit, sie sich anzuhören. Als Concorde Records dann meine Demos bekam, hatte ich das Gefühl, ihnen geht es wirklich um eine partnerschaftliche Zusammenarbeit. Sie kümmerten sich um alles, so dass ich recht schnell aus den alten Verträgen raus war. Das ganze lief binnen weniger Monate über die Bühne und darüber bin ich sehr froh, denn es hat mich schon sehr getroffen, wie sich meine Beziehung zu Verve entwickelt hatte. Das war ein harter Winter für mich, der mich aber nur stärker werden ließ.“

Das Interview führte Claudia Hötzendorfer

Hörtipp:

 

Lizz Wright

Freedom and Surrender

(Concord 2015)

weitere Infos zu Lizz Wright und zur Kochschule, die sie besucht hat:

http://www.lizzwright.net

https://www.naturalgourmetinstitute.com

© Claudia Hötzendorfer 2015 – Silent Tongue Productions