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Interview: Im Gespräch mit der Öko-Aktivistin Maude Barlow zum Weltwassertag 22.03.2015

2010 verankerten die Vereinten Nationen in einer Resolution Wasser als Menschenrecht. Keinen Tag zu früh meint Maude Barlow. Die Kanadierin war eine der ersten, die vor nunmehr drei Jahrzehnten das erste Mal auf den weltweit viel zu hohen Wasserverbrauch aufmerksam machte. Seitdem kämpft sie unermüdlich gegen die Privatisierung lokaler Reservoirs und setzt ich weltweit für den freien Zugang zu Frischwasser ein. Maude Barlow sieht nicht nur die Marktmacht großer Konzerne kritisch, sie weiß auch, dass der Weg zur Umsetzung des Rechts auf Wasser noch ein sehr weiter ist, wie sie im Gespräch mit Culture & Spirit zum Weltwassertag offen zugibt.

Wir haben in der Schule den Wasserkreislauf kennen gelernt und es hieß, damit könnte das Wasserreservoir der Erde nie wirklich versiegen, weil es sich praktisch immer selbst regeneriert. Inzwischen wissen wir, wie falsch diese Annahme ist.
„So falsch diese Annahme ist, so wird sie dennoch nach wie vor unterrichtet. Tatsächlich haben wir eine bestimmte Menge Frischwasser auf diesem Planeten und es stimmt auch, dass es sich durch den hydrologischen Kreislauf wieder regeneriert. Wenn Sie einen Strohhalm in einen See stecken und trinken, geht nicht viel Wasser verloren und durch den hydrologischen Prozess dieses Ökosystems macht dieser geringe Verlust, den Sie trinken nicht viel aus.
Anders verhält es sich allerdings, wenn wir in die kleineren lokalen Wasserkreisläufe eingreifen. Beispielsweise indem wir einer Quelle zu viel Wasser abzapfen oder so viel Grundwasser verbrauchen, dass es sich selbst nicht wieder regenerieren kann. Ein weiterer Aspekt, der nicht zu unterschätzen ist, steht in Verbindung mit der Vernichtung von Vegetation. Denn durch Rodung und Planierung hat der Regen keine Chance mehr in ausreichender Menge zu fallen.
Das sind nur einige Beispiele dafür, wie sich der Umgang mit Wasser im lokalen Zusammenhang auswirkt und das selbst in Gegenden, die augenscheinlich mehr als genug dieses kostbaren Nass haben.
Nehmen wir Brasilien. Ursprünglich eines der Länder weltweit mit dem größten Vorkommen an Frischwasser. Inzwischen hat es den schlechtesten Wert an Frischwasser seit dieser aufgezeichnet wird. Und es ist nicht nur so, dass eine Stadt wie Sao Paulo buchstäblich auf dem Trocknen liegt. Allein während des einen Jahres, in dem ich mein Buch geschrieben habe, hat sich die Situation dort dramatisch verschlechtert durch die Zerstörung des Amazonas.
Es ist sehr wichtig, diesen Zusammenhang zu verstehen. Denn die meisten Menschen reden über den Klimawandel, seien es nun Wissenschaftler, Forscher oder Umweltschützer immer im Zusammenhang mit dem Treibhauseffekt und der Treibhausgasemission. Dabei hat der Klimawandel auch einen großen Effekt auf das Wasser.
Niemand stellt sich die Frage, welche Auswirkungen hat es auf den Wasserhaushalt einer Region, wenn beispielsweise der Regenwald abgeholzt wird. Denn durch die Rodungen wird der Kreislauf gestört. Brasilien ist da nur ein Beispiel von vielen. Sie haben den Regenwald so unfassbar schnell dezimiert, dass die Folgen für die Regenmengen verheerend sind und ganze Regionen austrocknen. Es ist sehr wichtig zu verstehen, dass auch die geringeren Regenmengen eine Ursache für den Klimawandel darstellen. Es geht längst nicht nur um den Treibhauseffekt. Es ist die bewusste und gezielte Zerstörung wasserreicher Landschaften. Das wird nach wie vor aber bei allen Analysen immer wieder übersehen.
Wir müssen aufhören zu glauben, wir hätten einen unerschöpflichen Wasservorrat. Je moderner, urbaner und konsumorientierter wir leben, desto höher ist auch unser Wasserverbrauch. Denn Wasser steckt in allem. Selbst in Dingen, von denen wir es nie erwarten würden. Wir brauchen Wasser, um Computer, Autos oder Kleidung herzustellen. Wir verbrauchen extrem viel Wasser für die Nahrungsmittelproduktion. Je höher unser Verbrauch an wasserintensiver Nahrung ist, anstelle von lokalen Produkten, desto mehr verschwenden wir die lokalen Wasservorräte. Und zwar nicht etwa die eigenen, sondern die anderer Länder.
Denn Herstellung, Transport und Verarbeitung von Waren verbraucht vor Ort extreme Mengen Wasser an Ort und Stelle. Was wir hier konsumieren, hat seine Spuren am Herstellungsort hinterlassen.
Deshalb ist Ihre Frage so wichtig. Denn sie enthüllt den Mythos, dass wir nie unter Wassermangel leiden werden. Diese Annahme ist schlichtweg falsch.“


„Es ist sehr wichtig, den Zusammenhang zwischen Treibhauseffekt und Treibhausgasemission zu verstehen. Denn der Klimawandel hat auch einen großen Effekt auf das Wasser.“


Sie haben bereits angesprochen, wie oft Wasser für die Produktion von Waren gebraucht wird. In diesem Zusammenhang sprechen sie von virtuellem Wasser. Warum ist es so wichtig, zu verstehen, dass eben dieses virtuelle Wasser bei einem täglichen pro Kopf Verbrauch eines Haushalts mitgerechnet werden muss?

„Wir müssen uns klar machen, dass der Wasserverbrauch nicht nur durch die Menge bestimmt wird, die aus dem Hahn kommt. Jedes kleine Steak, das wir essen, bedeutet in dessen Herstellung den Verbrauch der Wassermenge eines Swimmingpools mit olympischen Ausmaßen. Alles was wir konsumieren hinterlässt einen Wasser-Fußabdruck, der sehr viel größer ausfällt, als der Verbrauch durch duschen, baden, die Toilettenspülung oder dem Wasserhahn, den wir in der Küche aufdrehen. Selbst, wenn wir unsere Gärten bewässern, macht dies nur einen Bruchteil des tatsächlichen Wasser-Fußabdrucks aus.
Als Faustregel können Sie davon ausgehen, dass der virtuelle Wasserverbrauch zehnmal so hoch ist, als das, was Sie aus dem Hahn kommen sehen. Denn der berechnet sich bezogen auf unsere Nahrung, Bekleidung, Produkte die wir kaufen und vielem mehr. Immerhin sensibilisieren sich immer mehr Menschen für diese Thematik, wenn auch längst noch nicht jeder die Ausmaße des virtuellen Wasserverbrauchs versteht.
In meinem Heimatland Kanada beispielsweise, wehren sich die Bürger gegen den Wasserexport in die Vereinigten Staaten. Seit Jahren transportieren Tankschiffe tonnenweise Frischwasser beispielsweise nach Kalifornien. Eine Stadt wie Las Vegas, die mitten in der Wüste liegt, hat einen enormen Bedarf an Frischwasser, der aus Kanada importiert wird. Wir kämpften dagegen an, weil wir das nicht länger dulden wollten. Denn wir waren nicht damit einverstanden, dass unser Wasser kommerziell genutzt und zur Handelsware wird.
Ich habe versucht den Leuten zu erklären, dass es aber nicht nur um die Tankschiffe geht, die Frischwasser exportieren, sondern auch um die Wassermengen, die durch den Export von Waren verbraucht werden. Kanada gehört zu den Ländern, die insgesamt gesehen, eine höhere Rate an virtuellem Wasser exportiert, als importiert. Das scheint nicht so problematisch zu sein, da Kanada einen großen Frischwasservorrat hat, verglichen mit vielen anderen Ländern. Deshalb ist es den Menschen auch nicht so bewusst und sie erkennen nicht die Brisanz der Problematik. Andere Länder wie Kalifornien, produzieren rund 90 % der weltweiten Mandelernte. Deren Anbau ist jedoch sehr wasserintensiv und gerade Kalifornien trocknet immer mehr aus. Da darf man sich doch Frage stellen, warum sollten wir erlauben, dass unsere Wasservorräte für so ein Luxusgut wie Mandeln verschwendet wird, um einen weltweiten Bedarf zu decken?
Wenn man beginnt die Ausmaße des globalen Nahrungsmittelmarktes im Zusammenhang mit dem Wasserverbrauch zu verstehen, bleibt es unverständlich, warum das nie zur Sprache kommt, wenn internationale Handelsabkommen geschlossen werden. Es geht vordergründig immer nur um den unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen. Niemand stellt die wichtige Frage: Haben wir überhaupt genug Wasser dafür? Die Frage, die sich daran anschließen sollte ist, wo haben wir dieses Wasser? Gibt es Analysen, ob und wo es überhaupt existiert? So dass wir einmal darüber nachdenken können, wozu wir diese kostbare Ressource wirklich nutzen wollen. Beispielsweise könnte man es für die lokale Lebensmittelproduktion reservieren.
Diese Fragen nehmen an Brisanz immer mehr zu, je mehr die Wasserreserven weltweit zur Neige gehen.
Ich habe ja bereits das Beispiel Brasilien erwähnt. Ein Land, das allein durch die Sojaproduktion und den Export enorme Wassermengen verbraucht. Es muss ein Umdenken dahingehend stattfinden, dass weniger Wasser für den Export verschwendet wird, als für die lokale Produktion von Waren.“


„Es geht längst nicht nur um den Treibhauseffekt. Es ist die bewusste und gezielte Zerstörung wasserreicher Landschaften. Das wird nach wie vor aber bei allen Analysen immer wieder übersehen.“


Wenn man Ihre Bücher liest und die zahlreichen Beispiele, die Sie darin geben, hat man das Gefühl, die Menschen und allen voran die Regierungen reagieren immer erst, wenn es wirklich zu spät ist. Nehmen wir zum Beispiel das sich über sechs US-Bundesstaaten erstreckende Ogallala Aquifer, einst eins der weltweit größten Grundwassersysteme, das nahezu ausgetrocknet ist, weil sein Wasser für die Kornkammer der USA verbraucht wurde. Wie kann so etwas überhaupt passieren? Was bedeutet es, wenn sie ein Aquifer versiegt?

„Ich finde es auch unfassbar. Dass der Ogallala-Aquifer austrocknet ist seit mindestens zehn Jahren bekannt. Sie haben dort über 200.000 Pumpen in Betrieb, die das Grundwasser fördern, um die Wüste zu begrünen. Da ist kein Verständnis vorhanden, dass dieses Grundwassersystem irgendwann einfach versiegen muss, weil es keine Möglichkeit zur Regeneration hat. Ist es einmal versiegt, ist dies unwiederbringlich, mit Auswirkungen für Millionen von Menschen, die abhängig von diesem Aquifer sind. Man muss sich nur vergegenwärtigen das Kalifornien durch den Getreideanbau der Brotkorb für die gesamten USA ist.
Ich habe versucht mit den Farmern dort darüber zu sprechen. Sie machen sofort komplett dicht. Sie wollen nichts darüber hören, verschleißen Augen und Ohren vor dem Offensichtlichen.
Was nun Ihre berechtigte Frage nach der Verantwortung der Regierungen betrifft. All diese Bezirksvertretungen werden immer nur für eine bestimmte Zeitspanne gewählt. Deshalb konzentrieren sie sich vor allem auf Maßnahmen, die schnelle Resultate zeigen. Niemand setzt sich hin und sagt, Moment mal, welche Auswirkungen haben Entscheidungen und Handlungen von heute in sagen wir 20 oder 50 Jahren?
Gerade das Ogallala-Aquifer ist ein Beispiel dafür, dass Veränderungen die gesamte Bandbreite von der kleinen Familienfarm bis hin zum großen Agrarbetrieb betreffen werden. Sie alle sind für den Großteil der US-Kornproduktion zuständig. Das Gesetz regelt, dass nicht weniger als 40 % der Kornproduktion aus dem eigenen Land stammen muss. Wenn man über die ehemaligen Great Plains fährt, sieht man stundenlang nichts weiter als diese enorm großen industriell betriebenen Farmen mit ihren riesigen Kornfeldern.
In diesen Gegenden lebt kaum noch jemand. Wer kann, zieht weg. Wer dort arbeitet, setzt vor allem Maschinen ein. Niemand kümmert sich darum. Selbst das US-Agrarministerium resigniert, weil schon zu viel unwiederbringlich zerstört wurde.
Es ist mir unbegreiflich, warum die Obama-Administration das nicht ganz oben auf ihre Tagesordnung setzt.
Schlimmer noch, es gibt Anhänger der republikanischen Tea Party, die sich dafür einsetzen, die Umweltschutzbehörde aufzulösen. Das bedeutet, sie verschließen sich nicht nur vor dem Offensichtlichen und unternehmen nichts dagegen, sie wollen auch nicht, dass irgendjemand darüber spricht oder durch Recherchen darauf aufmerksam macht.
Für mich ist das unverständlich und einer der Gründe, dieses Buch zu schreiben in der Hoffnung, möglichst viele Menschen damit zu erreichen.
Hier geht es nicht um eine Bagatelle. Es geht tatsächlich um unser Überleben. Wir müssen begreifen, dass wir so einfach nicht mehr weitermachen können. Sollten wir das Wasser weiter in so enormen Mengen verbrauchen, wird as weltweit verheerende Folgen haben.
Wo wollen wir in der Zukunft leben? Wo sollen unsere Nachkommen leben und alle anderen Lebewesen auf diesem Planeten? Deshalb geht es längst nicht mehr um mich oder Sie als Individuum, sondern um das Überleben von uns allen.“


Maude Barlow formuliert in ihrem Buch Blaue Zukunft vier Grundprinzipien im Umgang mit Wasser:

1. Der Zugang zu Wasser ist ein Menschenrecht.
2. Wasser ist ein Menschheitserbe und keine Ware.
3. Auch Wasser hat Rechte.
4. Wasser lehrt und das Zusammenleben.


Sie konnten maßgeblich dazu beitragen, dass die Resolution für das Recht auf Wasser von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurde. Wer kontrolliert und sanktioniert die Einhaltung dieser Resolution?
„Das einzige, das uns auf dieser Welt, an Aufklärung und Strafe hindert sind Handels- und Investmentabkommen. Alles andere, von den Menschenrechten, über den Umweltschutz oder Friedensverhandlungen, basieren auf gutem Willen und ehrenhaftem Verhalten. Und das beinhaltet auch das Menschenrecht auf Wasser.
Es war ein enorm großer Erfolg, die Vereinten Nationen davon zu überzeugen, das Recht auf Wasser 2010 anzuerkennen. Ich war darin involviert und das macht mich stolz, denn es war ein großer evolutionärer Schritt für die Menschheit.
Nur ist leider niemand wirklich verantwortlich sicherzustellen, dass dieses Recht auch tatsächlich eingehalten wird. Jedes Land – unabhängig davon, ob es nun dafür oder dagegen votiert hat – hat nun die Pflicht dieses neue Recht umzusetzen. Denn das ist die Vereinbarung der UN. Wann immer ein neues Recht anerkannt wird, müssen alle Länder für dessen Umsetzung und Einhaltung sorgen. Deshalb ist jede Regierung angehalten einen Dreijahresplan für die UN zu erstellen, wie sie das Menschenrecht auf Wasser umsetzen werden. Dazu gehört auch, dass von den wohlhabenderen Nationen erwartet wird, dass sie ärmere Länder unterstützen. Um das im Auge zu behalten, wurde ein Beobachter eingesetzt. Bislang hat diese Aufgabe Katharina de Albuquerque übernommen. Ihr folgt nun der Brasilianer Leo Heller nach. Es ist seine Aufgabe, die Regierungen zu kontrollieren, inwieweit sie die Resolution umsetzen und einhalten.
Es gibt Nationen, die gegen das Menschenrecht auf Wasser stimmten. Dazu gehört auch Kanada. Wohingegen Deutschland ein Vorreiter war, wofür wir sehr dankbar sind. Leider hat Kanada bislang auch noch keinen Plan für die Umsetzung erstellt. Wir bleiben aber dran und machen Druck. Dass sie merken, wir lassen es nicht zu, dass sie damit durchkommen. Es hängt also auch von den jeweiligen Bewegungen und deren Engagement in den verschiedenen Ländern ab, wie sehr sie Druck auf die Politiker ausüben. Allerdings muss ich auch zugeben, dass wir keine wirkliche Handhabe haben, eine Regierung zur Einhaltung zu zwingen.
Ich werde oft gefragt, ob es die ganze Arbeit wert war, wenn man die Umsetzung nicht erzwingen kann. Meine Antwort lautet: Wenn wir als Weltgemeinschaft zusammenkommen und darüber sprechen, dass es Rechte geben muss, die für uns alle gleich gelten, beispielsweise nicht gefoltert zu werden, dann sind dies ganz fundamentale Prinzipien. Das bedeutet nicht, dass es nicht doch irgendwo auf dieser Welt Folterungen gibt. Wir brauchen ja nur in den Mittleren Osten zu schauen. Aber es ist es allemal wert, als Weltfamilie sich dafür einzusetzen und zu sagen, nein – wir wollen das nicht, mit der Intention sie abzuschaffen. Es ist nicht richtig, sie ist nicht Teil unserer Kultur und es ist nicht akzeptabel. Deshalb kann man wohl eher sagen, die Umsetzung der Menschenrechte ist ein Ziel. Es ist extrem wichtig, diese Ziele zu haben, dass wir für das woran wir glauben einstehen. Der Lohn wird sein, dass wir es alle besser haben. Wir bräuchten keine Vereinten Nationen, wenn sie keine Berechtigung hätten.
Deshalb glaube ich fest daran, dass es unsere Aufgabe ist, solange dranzubleiben, bis wir eine Welt haben, die allen genug Frischwasser sichert und niemand das Recht darauf infrage stellt. Was wir erreicht haben, war schon ein großer Schritt vorwärts. Es wurde von der Weltbank niedergeschlagen, ebenso von Regierungen, die nicht bereit waren, dafür zu zahlen und den meisten Wasserproduzenten. Trotzdem haben wir uns durchgesetzt. Es war ein sehr wichtiges Statement der Weltbevölkerung, dass es absolut inakzeptabel ist, Menschen sterben zu lassen, nur weil sie sich kein frisches Wasser leisten können.
Für mich persönlich war es ungeheuer wichtig, diese Aufmerksamkeit zu bekommen. Der nächste Schritt ist nun die Umsetzung.“


„Wir müssen aufhören zu glauben, wir hätten einen unerschöpflichen Wasservorrat.“


Welche Auswirkungen hat ein Freihandelsabkommen wie das viel diskutierte TTIP auf die Wasserwirtschaft?
„Wenn wir über TTIP reden, müssen wir auch CEDAR berücksichtigen. Denn CEDAR ist das Abkommen zwischen Kanada und Europa. Das ist deshalb wichtig, weil das, was den Europäern an TTIP Sorgen bereitet, die Verschlechterung für einzelne Staaten ist. Das bedeutet, dass die Vereinigten Staaten EU Länder verklagen könnten, wenn die höhere Standards erhalten wollen, beispielsweise bezogen auf den Umweltschutz oder sozialen Programmen. Kanada und Europa haben sich nur technisch einverstanden erklärt, das Abkommen einzuhalten. Jedes EU-Land muss es bevollmächtigen und mit dem wirtschaftlichen Handelsabkommen, das mit Kanada geschlossen worden ist, konform sein. Selbst wenn die Europäer es schaffen würden TTIP zu verhindern, hätten US-Firmen immer noch die Möglichkeit über kanadische Niederlassungen über CEDAR ihr Ziel zu erreichen.
Deshalb kann ich nur allen raten, die sich Sorgen um TTIP machen, sich vor allem auch mit CEDAR auseinanderzusetzen. Und wenn ihnen am Umwelt- und Gewässerschutz etwas liegt, Nahrungsmittelsicherheit und dem Verzicht auf genmanipulierten Lebensmitteln, sollten sie sich unbedingt gegen die Umsetzung von TTIP und CEDAR engagieren.
Denn die Standards in Nordamerika sind sehr viel niedriger als in Europa. Und diese Kooperationen werden dazu verwendet Meinungsverschiedenheiten zwischen Regierungen zu nutzen, um höhere Standards zu vermeiden.
Es gibt ein nordamerikanisches Freihandelsabkommen, mit dem wir uns nun seit 25 Jahren herumschlagen. Hier in Kanada sehen wir uns derzeit konfrontiert mit 2,6 Millionen US Dollar Herausforderung von amerikanischen Unternehmen, unsere höheren Standards zu ihren Gunsten zu senken.“


„Als Faustregel können Sie davon ausgehen, dass der virtuelle Wasserverbrauch zehnmal so hoch ist, als das, was Sie aus dem Hahn kommen sehen.“


Können Sie dafür ein Beispiel geben?
„Eine amerikanische Firma, die Lone Pine heißt, hat unsere Regierung auf 350 Millionen Dollar verklagt. Weil ihnen das Moratorium das Fracking untersagt. Ein amerikanischer Pestizid-Hersteller hat ebenfalls eine Klage angestrengt, weil sie dadurch Profit verloren haben.
Diese Kooperationen verwenden die weltweiten Freihandelsabkommen, um die Gesetze herauszufordern, die das Recht auf Wasser regeln und dafür verwendet werden sollen, dass es in öffentlicher Hand bleibt.
Dann kommen diese Unternehmen und sagen, wenn ihr das bereits privatisierte Wasser wieder in öffentliche Hand geben wollt, könnt ihr das nur, wenn ihr uns dafür Schadensersatz zahlt.“


„Ist ein Grundwassersystem wie das Ogallala-Aquifer in den USA einmal versiegt, ist dies unwiederbringlich, mit Auswirkungen für Millionen von Menschen, die davon abhängig sind.“


Sie plädieren für die Einrichtung eines globalen Wasserkartells anstelle der großen Konzerne wie etwa Vivendi oder Nestle. Diese Unternehmen kaufen Quellen und Reservoirs auf, beuten sie aus und verkaufen das in Flaschen abgefüllte Nass nicht nur in wohlhabende westliche Länder, sondern vor allem an Arme, die selbst keinen Zugang zu sauberem Wasser haben. Glauben Sie wirklich, dass sich ein globales Wasserkartell gegen diese Marktmacht etablieren lässt?
„Sie haben natürlich Recht, diese weltweit agierenden Konzerte haben eine enorme Macht. Nehmen wir nur Nestle, als größtes Unternehmen, das mit in Flaschen abgefülltem Wasser handelt. Sie machen den größten Profit tatsächlich damit, in armen Ländern Quellen aufzukaufen und den dort lebenden Menschen damit den Zugang zu Frischwasser zu nehmen, damit sie ihnen das eigene Wasser in Flaschen abgefüllt verkaufen können. Und die Menschen, ganz gleich ob nun wohlhabend oder arm, haben keine Wahl als das eigene Wasser zu kaufen.
Ich sehe diese Entwicklung sehr kritisch. Nestle-Vorstandschef Peter Brabeck hat auch großen Einfluss auf die Weltbank und die Vereinten Nationen, wenn es um das Vorantreiben einer Privatisierung der Wasserwirtschaft geht. Er stellt das schon sehr geschickt an. In den Ländern, in denen er sein Geschäftsmodell installiert, setzt er seinen Einfluss in der Weltbank ein, um sein Ziel einer Privatisierung zu erreichen. Dieser Übermacht können die Menschen nichts entgegensetzen. Peter Brabeck lebt hier keine Philosophie. Es geht im allein um seinen Profit. Für mich ist das nichts weiter als eine Schande.
Was mich persönlich nur noch mehr anspornt, etwas dagegen zu unternehmen. Wo immer wir können kämpfen wir gegen die Privatisierung von Wasser an. Und es gibt bereits Gemeinden, die sich ganz der Erhaltung der lokalen Wasservorkommen in öffentlicher Hand verschrieben haben. Wir nennen sie in Kanada die blauen Gemeinschaften. Sie unterstützen ihr eigenes Wasser und verzichten auf in Flaschen abgefülltes Wasser entsprechender Hersteller. Sie erkennen das Menschenrecht auf Wasser an.
Mit Bern in der Schweiz, haben wir endlich auch die erste Stadt außerhalb Kanadas gewinnen können, Teil der blauen Gemeinschaft zu werden. Es ist sehr aufregend für uns, diese Entwicklung miterleben zu dürfen. Der Bewegung schließen sich auch immer mehr Universitäten an.
Kürzlich hat sich auch eine Gemeinde in Brasilien gegen die Bestrebungen Nestles gewährt, ihre Quellen aufzukaufen. Um es auf den Punkt zu bringen, der beste Weg sich gegen diese global agierenden Konzerne zu wehren ist es, die Basis aufzuklären. Eine Bewegung von unten zu etablieren, die diesen Unternehmen klarmacht, dass sie nicht willkommen sind. Doch das ist dann nur der erste Schritt, der nächste ist die Durchsetzung der Wasserrechte auf nationaler Ebene. Sodass die jeweiligen Regierungen die Wasserrechte in öffentlicher Hand belassen.
Und sind wir mal ehrlich: Wenn aus unseren Wasserhähnen so sauberes Wasser kommt, dass wir es trinken können, warum sollten wir dann in Flaschen abgefülltes Wasser kaufen? Ich weiß, dass es Länder gibt, in denen man kein Leitungswasser trinken kann. Aber gerade die westlichen Länder haben sehr sauberes Wasser. Tatsächlich gibt es beispielsweise in Deutschland kein saubereres und mehr kontrolliertes Wasser als das aus der Leitung. Und wen wir dieses gute Trinkwasser haben, gibt es keine Entschuldigung dafür, teures Wasser in Flaschen zu kaufen.
In Nordamerika konnten wir schon mehrere hundert Universitäten davon überzeugen, auf Flaschenwasser auf dem Campus zu verzichten. Mittlerweile ziehen schon einige Highschools nach. Es ist natürlich eine Entscheidung, die jede Gemeinde für sich beschließen muss, wenn es um die Förderung sauberen Trinkwassers geht. Aber wenn wir uns verdeutlichen, dass das Recht auf Wasser und die Verfügbarkeit von sauberes Trinkwasser Hand in Hand gehen, dann werden wir auch nicht länger die Privatisierung der Wasserwirtschaft zulassen können.“


„Es war ein enorm großer Erfolg, die Vereinten Nationen davon zu überzeugen, das Recht auf Wasser 2010 anzuerkennen. Nur ist leider niemand wirklich verantwortlich sicherzustellen, dass dieses Recht auch tatsächlich eingehalten wird.“


Nicht nur in Ländern der dritten Welt haben die Menschen oft nicht ausreichend Zugang zu sauberem Wasser. Auch in den vermeintlich reichen Ländern werden Menschen aus Armut vom Wasser abgeschnitten. Sie geben in Ihrem Buch das Beispiel Detroit. Wie kann es sein, dass in so einem reichen und großen Land wie den USA so etwas passieren kann?
„Während ich an meinem Buch arbeitete, wurde für Detroit der Notstand ausgegeben. Die Stadtverwaltung bekam einen Notfallmanager zugeteilt, der als erstes dafür sorgte, dass die Menschen nicht länger vom Wasserzugang abgeschnitten werden dürfen, nur weil sie nicht mehr in der Lage sind, für die Kosten aufzukommen.
Ich fuhr hin und traf mich mit den lokalen Aktivisten. Wir involvierten auch die UN, sich vor Ort von den Zuständen zu überzeugen. Da wurden systematisch Tausende von Zugang zu Frischwasser abgeschnitten. Viele von ihnen arme Afroamerikaner, die nicht genug Geld hatten die Stadt zu verlassen, als alle anderen wegzogen, als es keine Jobs mehr gab. Innerhalb nur weniger Jahre schlossen die großen Fabriken und wanderten ab. Parallel schoss die Rate für die mtl. Wasserkosten in für arme Menschen astronomische Höhen. Wie hätten sie es sich leisten sollen ohne Einkommen? Dass sie nicht zahlen konnten war schließlich nicht ihre Schuld. Und genau das hat der Notfallmanager der Stadtverwaltung klar gemacht. Dadurch, dass wir auch die UN involviert hatten, bekamen wir die Aufmerksamkeit der internationalen Medien und damit konnten wir auch zeigen, das ist nur ein Beispiel dafür, was passieren kann. Denn ironischer Weise liegt ausgerechnet Detroit an den großen Seen. Aber das gesamte Wasservorkommen um die Stadt herum wurde privatisiert. Die Raten wurden ganz bewusst in die Höhe getrieben, damit das Geschäft für die großen Unternehmen attraktiv wird und sie bereit sind, die Rechte für viel Geld aufzukaufen. Man versprach sich hohe Profite. Rund um die großen Seen wächst die Bevölkerung kontinuierlich an. Da war es nicht im Interesse der Verwaltung das Wasserrecht in öffentlicher Hand zu lassen. Damit kann man schließlich nichts verdienen, besonders wenn man in einer so heruntergewirtschafteten Stadt lebt.“


„Wasser steckt in allem. Selbst in Dingen, von denen wir es nie erwarten würden. Wir brauchen Wasser, um Computer, Autos oder Kleidung herzustellen und wir verbrauchen extrem viel Wasser für die Nahrungsmittelproduktion.“


Sie erwähnten eingangs den gegenseitigen Einfluss von Klimawandel und Wasserwirtschaft. Müssen nicht die einzelnen Interessengruppen wie Umweltschützer, Naturschützer, Entwicklungshelfer etc. besser zusammenarbeiten und sich mehr vernetzen, wenn es um Wasser geht? Die scheinen alle immer nur ihre eigenen Themenfelder im Blickfeld zu haben.
„Ich stimme Ihnen voll und ganz zu. Es ist mir ein wichtiges Anliegen und Teil meiner Lebensaufgabe, diese verschiedenen Interessengruppen zusammenzubringen. Ich arbeite mit Umweltschützern und Wissenschaftlern, mit Universitäten, Forschungszentren einerseits und andererseits mit Menschenrechtsaktivisten und Entwicklungshelfern. Und ich stelle immer wieder fest, dass sie in völlig verschiedenen Welten arbeiten. Meiner Meinung nach, können wir die Wasserkrise nicht aufhalten und abwenden, wenn wir nicht in der Lage sind, zusammenzuarbeiten. Wir müssen einen Plan entwerfen, der beide Realitäten berücksichtigt. Wenn wir nicht genug Frischwasser zur Verfügung haben, helfen uns auch alle Menschenrechte nicht mehr weiter. Denn es wird einfach nicht genug sein für uns alle.
Also erzähle ich den Menschenrechtsaktivisten, es reicht nicht, wenn ihr euch nur für mehr Wohlstand einsetzt. Ihr müsst auch für die Wasserrechte kämpfen. Wir brauchen Gesetze, die eine Umweltverschmutzung verhindern. Wir brauchen strengere Umweltschutzgesetze. Ihr steht auf verlorenem Posten, wenn ihr euch zwar für den Umweltschutz einsetzt, dabei aber das Wasser völlig vergesst. Und dabei reicht es nicht, sich nur auf die kleinen Dörfer vor Ort zu konzentrieren. Wir müssen es in einem größeren Zusammenhang sehen. Wir brauchen sauberes Wasser.
Nehmen wir das Beispiel Nigeria. In vielen armen Gebieten kennen die Leute so genannte flying toilets (engl. fliegende Toiletten). Die Leute haben keine sanitären Anlagen, also machen sie in Plastikbeutel und werfen sie dann in die örtlichen Seen oder Flüsse. 1,9 Millionen Menschen leben dort. Können Sie sich vorstellen, dass sauberes Wasser da Mangelware ist? Wissen, Aufklärung und Information gehen Hand in Hand. Wir brauchen eine Bewegung, die dabei hilft den Zugang zu frischem Wasser sicherzustellen. Natürlich sind es immer die Ärmsten, die als erste spüren, wie ein Leben ohne sauberes Wasser ist. Wir können nicht für ein Recht auf Wasser für alle kämpfen, wenn wir bald nicht mehr genug für alle haben werden. Deshalb setze ich mich so leidenschaftlich für die Sache ein.“


„Herstellung, Transport und Verarbeitung von Waren verbraucht extreme Mengen Wasser an Ort und Stelle. Das heißt, was wir hier konsumieren, hat seine Spuren am Herstellungsort hinterlassen.“


Ich habe kürzlich gelesen, dass sich, ich glaube es war der neue Premierminister Indiens, dafür stark machen will, den extrem verschmutzen Ganges reinigen zu lassen. Was sich als gewaltiges Problem herausgestellt hat, weil den Hindus dieser Fluss heilig ist. Offenbar sind sie weniger irritiert, wenn sie von dessen Wasser trinken und in ihm baden, obwohl andere ihren Müll, Exkremente und die Asche Verstorbener darin verteilen.
„Ja, den Hindus ist dieser Fluss heilig. Ehrlich gesagt kann ich mir nicht vorstellen, wie man in so verschmutztem Wasser baden kann, nicht zu reden, davon zu trinken. Wie kann man eine spirituelle Beziehung zu so etwas schmutzigem haben? Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich verstehe durchaus die ursprüngliche spirituelle Intention, die eine Reinigung durch klares, reines Wasser vorsah.
Aber auch in Indien konnten wir viel bewegen. Denn die Regierung hat das Menschenrecht auf Wasser anerkannt. Und man setzt alles daran, dass die Gemeinden ihre Wasserrechte behalten.
Das ist eine sehr gute Entwicklung finde ich. China gehört auch zu meinen Sorgenkindern. Ich hatte leider mein Buch bereits abgeschlossen, so dass ich es nicht berücksichtigen konnte. Greenpeace veröffentlichte eine Studie, dass seit 1990 die Hälfte aller Flüsse in China ausgetrocknet sind. Sie sind nicht nur verschmutzt, sondern tatsächlich verschwunden. Und plötzlich erkennen diese beiden Nationen, wir können nicht auf ein ökonomisches Wunder warten. Natürlich wollen sie auch Freihandelszonen und eine wachsende Industrie haben. Aber sie müssen nicht die gleichen Fehler wie die westliche Welt machen. Sie können ihre Ziele nicht erreichen, wenn sie nicht gleichzeitig auf eine gesunde Umwelt achten.
Ich sehe ein enormes Potential das Bewusstsein dieser Nationen zu verändern. Aber auch sie mussten wohl erst erleben, wie das Wasser versiegt, Menschen, Tiere und Vegetation sterben.“


„Wir müssen uns klar machen, dass der Wasserverbrauch nicht nur durch die Menge bestimmt wird, die aus dem Hahn kommt. Jedes kleine Steak, das wir essen, bedeutet in dessen Herstellung den Verbrauch der Wassermenge eines Swimmingpools mit olympischen Ausmaßen.“


Aber da haben wir es doch wieder. Warum warten immer alle, bis es zu spät ist? Haben die keine Augen im Kopf. So etwas passiert ja nicht über Nacht. Es ist ein Prozess, der doch bemerkt worden sein muss.
„Ich weiß, da wären wir wieder beim Ogallala-Aquifer. Wie lange wollen sie noch warten, bis sie begreifen, dass er unwiederbringlich austrocknet? Damit kommen wir zurück auf Ihre Eingangsfrage. Wir sprachen über den Mythos, mit dem wir alle aufgewachsen sind. Dass Wasser nie knapp werden wird. Diese Geschichte vom hydrologischen Kreislauf haben wir alle in der Schule gelernt, weltweit. Diese Erkenntnis liegt wie Zement in den Köpfen der Politiker. Wenn wir hingehen und sagen, wir stehen vor einer globalen Wasserkrise, sagen sie, nein – wir werden immer genug davon haben. Denn sie glauben noch an einen weiteren Mythos, nämlich den, dass die Technologie schon alles richten wird.“

Das Interview führte Claudia Hötzendorfer

 

Buchtipps:

Maude Barlow
Blaues Gold (Kunstmann 2003)
Die Wasser-Allmende (Think Oya 2013)
Blaue Zukunft (Kunstmann 2014)

 

weitere Infos:
http://www.canadians.org/maude
http://www.blueplanetproject.net/

 

© Claudia Hötzendorfer 2015 – Silent Tongue Productions