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Interview: Dieter Nuhr

Überall Stress und Hektik. Nur einer behält die Ruhe: Dieter Nuhr. In seinem aktuellen Programm Nu(h)r die Ruhe, stellt der 50-jährige fest: „Panik muss nicht sein“. Vorab plauderte er über sein Hobby fotografieren und gibt Tipps für turbulente Zeiten.

 

Herr Nuhr, Sie sind gerade 50 geworden. Herzlichen Glückwunsch nachträglich. Ihr aktuelles Programm heißt Nu(h)r die Ruhe. Sieht man mit zunehmendem Alter die Dinge einfach etwas gelassener?

„Wirkliche Gelassenheit wird man wahrscheinlich erst entwickeln, wenn man tot ist. Aber der Übergang ist ja fließend. Ich arbeite daran.“

Andererseits scheinen Sie mit den Jahren bissiger geworden zu sein und manchmal einfach nur fassungslos ob bestimmter Ereignisse oder Menschen. Liege ich damit richtig?

„Da ist was dran. Wir leben hier bei uns in einer Art Empörungsroutine und vergessen darüber, dass die Menschen in ihrer ganzen Geschichte wahrscheinlich noch nie so sicher, gesund und unterhaltsam gelebt haben wie heute in Mitteleuropa. Die Unfähigkeit zu leben ist es, die mich am meisten fassungslos macht.“

Wir Deutschen neigen etwas zur Dramatik und Panikmache. Glauben Sie, dass ein Programm wie Ihres die Menschen auf humorige Art dafür sensibilisieren kann, etwas entspannter mit Themen wie Schweinegrippe etc. umzugehen?

„Ich habe eine Stelle im Programm, in der ich die gesamten Weltuntergänge aufzähle, die man mir angekündigt hat, die ich aber dennoch überlebt habe. Das geht beim Waldsterben los und endet dann, über Ozonloch, Rinderwahnsinn, Handystrahlung und Klimakatastrophe bei der Schweinegrippe, der schlimmsten Bedrohung der Menschheit seit dem großen Schnupfen 1975. Ich weiß noch, während der Schweinegrippenpanik hatte ich ein Kratzen im Hals und dachte: Hoffentlich ist es Typhus! Seitdem habe ich beschlossen, mich der routinierten Panik zu verweigern. Ich halte mich indessen für unzerstörbar. Ich habe ja sogar die Startbahn West überlebt und durfte sogar schon einige Male von ihr abheben. Ich glaube, mich wird auch ein Bahnhofsbau in Stuttgart nicht umbringen.“

Ihre Empfehlung in turbulenten Zeiten Ruhe zu bewahren.

„Sich immer wieder klarmachen: Unsere Medien brauchen Katastrophen, um ihre Meldungen als Ware effektiv verkaufen zu können. Da kann ich nur jedem raten: Bevor man sich wegen schlechter Nachrichten am nächsten Baum aufknüpft, erst einmal abwarten. Die meisten Katastrophen lösen sich nach ein paar Jahren von selbst in Luft auf. Der Untergang kommt dann mit Sicherheit irgendwann unerwartet. Dann kann man sich immer noch aufregen.“

Manche Medienkollegen bezeichnen Sie gern als den Philosophen unter den Kabarettisten. Schmeichelt Ihnen das oder finden Sie solche Etikettierungen eher albern?

„Es gibt erheblich unangenehmere Labels. Ich werde weit lieber als Denker wahrgenommen als als Trottel. Darüber vergesse ich natürlich trotzdem nicht, dass ich wie meine Mitmenschen der Gruppe der Primaten angehöre.“

Wenn Sie ein neues Programm planen und einen Titel wie Nu(h)r die Ruhe dafür wählen, wie stellen Sie das Material dafür zusammen? Was kann Sie inspirieren?

„Da gibt es keine allgemein gültige Methode. Eigentlich schade. Sonst könnte ich mein Programm maschinell erstellen lassen und währenddessen in Urlaub fahren.“

Wenn man Ihnen zuhört, scheint es zwar als hätten die Themen, die Sie ansprechen, nicht immer etwas miteinander zu tun. Doch dann stellen sich plötzlich Zusammenhänge heraus. Reizt es Sie, die Menschen eben auf diese Verbindungen hinzuweisen, die sie sonst vielleicht übersehen würden?

„Alles hängt zusammen. Ohne Urknall gäbe es keine Spülmaschine. Das wäre extrem unbequem. Ich versuche die Dinge aus einem Blickwinkel zu sehen, den andere nicht einnehmen. Deshalb werde ich oft als Comedian bezeichnet. Kabarettisten beschreiben die Welt ja meist vorhersehbar und ideologisch. Ich finde es aber schöner, wenn Gedanken überraschend sind. Ich möchte selbst, wenn ich im Publikum sitze, geistig angeregt werden. Ich finde es langweilig, wenn auf der Bühne altbekannte Standpunkte herunter gebetet werden. Ich gehe ja nicht ins Kabarett, um bestätigt zu bekommen, dass ich Recht habe.“

Wenn Sie wie kürzlich beispielsweise über den Islam oder das Christentum sprechen, wie viel Recherche steckt dann dahinter?

„Wenn man auf einer Bühne etwas behauptet, sollte man sich vorher kundig gemacht haben, sonst gibt’s Ärger. Ich würde ja auch sauer, wenn jemand Unwahrheiten über mich verbreitet. Vorbereitung hilft, übrigens nicht nur auf der Bühne, sondern auch im richtigen Leben.“

Sie wirken immer sehr gut vorbereitet. Ist die fundierte Recherche für einen guten Kabarettisten ein Muss?

„Ja, natürlich! Wenn ich eine Koransure falsch zitiere, steht gleich der Selbstmordattentäter vor der Tür. Da ist Recherche lebenserhaltend.“

Was wäre für Sie ein absolutes No Go auf der Bühne?

„Alles was nicht lustig ist. Und abgegriffene Gedanken. Ich gehe davon aus, dass sich mein Publikum selbst informiert, deshalb werde ich auch nicht betroffen Zeitungskommentare nachbeten. Das erledigen einige Kollegen ganz hervorragend, ich bin dafür nicht geeignet, denn ich habe zum Agitator kein Talent.“

Auszeichnungen, die Sie in den letzten Jahren erhalten haben zeigen, dass Sie sowohl in der Sparte Comedy als auch beim Kabarett zuhause sind. Wie finden Sie dieses ständige gegenseitige Naserümpfen – da die ach so ernsten Kabarettisten und dort die so plump lustigen Comedians. Ich fühle mich immer an das Hauen und Stechen erinnert, das sich Musiker liefern, wenn es um E und U-Musik geht.

„Jeder will eben besser sein als der andere und versucht in der Folge, das ganze ideologisch zu unterfüttern. Mir ist im Grunde wurscht, als was ich bezeichnet werde. Es ist hoffentlich lustig, was ich mache, deshalb ist es Comedy, und ich hoffe, es ist nicht geistlos, also ist es Kabarett. Im Hotel trage ich als Beruf grundsätzlich „lustiger Mann“ ein. Das erspart mir weitere Auseinandersetzungen.“

Wie testen Sie Ihr Programm?

„Ich teste auf der Bühne in kleinen Theatern und vorher zu Hause mit meiner angeheirateten Dramaturgin.“

Liegt es eigentlich irgendwann fest oder lassen Sie sich Raum für Improvisation, um beispielsweise auf aktuelle Ereignisse reagieren zu können?

„In meinem Programm nehme ich immer Bezug auf aktuelle Geschehnisse. Und dann gibt es natürlich wieder breite Teile, die sind irgendwann einfach fertig.“

Kürzlich waren Ihre Fotografien im Stadtmuseum Ratingen zu sehen. Dabei fällt auf, dass Sie nicht die klassischen Reisefotos machen, vielmehr scheinen es Momentaufnahmen zu sein. Was inspiriert Sie auf den Auslöser zu drücken?

„Mich interessiert die Ordnung hinter den Dingen, im Bild wie auf der Bühne. Ich glaube, dass man im Kleinen, in Schaufenstern, in Ecken, in Seitenblicken oft mehr über eine Kultur erfährt, als wenn man einen Reiseführer liest.“

Sie reisen viel, auch an weniger typische Touristenorte. Was muss ein Ort oder ein Land haben, dass Sie dorthin möchten?

„Ich fahre gern in Schurkenstaaten, faszinierende Landschaften oder völlig fremde Kulturen. Mich reizt das andersartige, Menschen die an Wiedergeburt glauben oder an Wunderheiler, Hexerei oder Sozialismus. Der Mensch hat so viele vollständig bekloppte Lebensformen entwickelt, dass man sich gar nicht sattsehen kann daran. Ganz nebenbei relativiert Reisen das Absolute der eigenen Lebensweise.“

Haben Sie ein Wunschziel – einen Ort, den Sie unbedingt sehen möchten?

„Hunderte.“

Ich kann mir vorstellen, dass Reisen den Blick auf die Heimat verändert. Ging es Ihnen so und wenn ja, was hat sich geändert?

„Wenn man mit wachen Augen reist, bemerkt man, dass unsere von ihren Insassen ständig bejammerte Gesellschaft nicht nur den größten Wohlstand ermöglicht, sondern auch die meiste Freiheit und ein Höchstmaß an Zivilisiertheit. Es ermöglicht also einen positiven Blick auf die Heimat, etwas was bei uns vollständig ungewöhnlich ist.“

Lesen Sie eigentlich was über Sie geschrieben wird?

„Soweit ich es mitkriege, ja. Aber oft sagt mir keiner Bescheid ... Dann eben nicht.“

Ab Januar übernehmen Sie die Moderation des Satire Gipfels in der ARD. Was erwartet Ihr Publikum noch 2011 von Ihnen?

„Ich gehe auf Tournee, schreibe ein weiteres Buch, werde auch bei RTL noch ein paar Sendungen moderieren und weiter für das Radio arbeiten, ich werde reisen und hoffentlich wiederkommen. Was davon vom Publikum von mir erwartet wird, weiß ich nicht genau. Ich kenne ja nicht alle persönlich.“

Claudia Hötzendorfer

Buchtipps: (Auswahl)

Nuhr auf Sendung – ein Radiotagebuch

(WortArt 2010, 366 S., € 13,95)

Nuhr unterwegs

(rororo 2008, 144 S., € 9,95)

Wer’s glaubt, wird selig

(rororo 2007, 192 S., € 9,95)

Gibt es intelligentes Leben?

(rororo 2006, 92 S., € 9,95)

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